Ausschreitungen in Hamburg: Gewalt als Selbstzweck

"G20 angreifen"? Gewalt als Selbstzweck in Hamburg

 

Mit der Sprengung der „Welcome to hell“ Demonstration diesen Donnerstag setzte die Polizei in Hamburg eine irrsinnige Spirale der Gewalt in Gang. Die Nacht zum Sonnabend sah jedoch ein Maß an Gewalt, dass selbst bei radikalen G20-Gegner*innen für Unmut sorgt.

Von Franziska Wilke, Fulian Feller und Marko Neumann

Nach dem Eröffnungstag des G20-Gipfels verlor die Polizei in der Nacht auf den 8. Juli vollends die Kontrolle über Teile Hamburgs. Und das, obwohl zusätzlich zu den bereits eingesetzten mehr als 15.000 Polizist*innen noch weitere Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert und bewilligt wurde. Weder die mehr als 20 Wasserwerfer noch die eingesetzten Räumpanzer, weder das massenhaft versprühte Reizgas noch die Knüppel und Fäuste konnten die Lage unter Kontrolle bringen. Zuletzt setzte die Hansestadt sogar schwerbewaffnete Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung gegen die eigene Bevölkerung ein. [1]

Rote Flora Sprecher: „Krawall, der sich auf sich selbst bezieht“

Als einer der ersten hat sich Andreas Blechschmidt von der Roten Flora zu Wort gemeldet, dem linken Projekt des Schanzenviertels im Epizentrum der Randalenacht. Blechschmidt, grundsätzlich der Ansicht, dass es legitim ist, auf gewalttätige Verhältnisse mit Gewalt zu antworten, hat die gewaltigen Ausschreitungen im Schanzenviertel bereits in der Nacht zu Sonntag vor laufenden Kameras verurteilt. [2]

Das ist ein Krawall, der sich nur auf sich selbst bezieht“, sagte Blechschmidt nun der taz. Es gehe nicht mehr um politische Inhalte, sondern nur um das Event. Die Schanze auseinander zu nehmen, sei politisch falsch. [3]

Geschäfte nicht wahllos angegriffen

Auf dem Schulterblatt vor der Roten Flora wurden in aller Seelenruhe Barrikaden errichtet. Schwarz Vermummte zerstörten schweigend vor den Augen der AnwohnerInnen Blumenkübel. Warum? Weil sie es konnten. Später zündeten sie eine Bank an und plünderten Geschäfte. [4]

Die meisten Cafés, Kneipen und kleinen Läden an der Straße blieben verschont, auch wenn sie ihre Fenster nicht verbarrikadiert hatten. Einzelne kleine Läden haben am Samstagmorgen schon wieder geöffnet und versorgen die Schaulustigen mit Getränken. [5]

Vor dem Rewe-Markt, in dem sich sonst die Szene gern bis spät in die Nacht versorgt, steht der stellvertretende Filialleiter vor dem halb hochschobenen Gitter. „Das haben die einfach hochgeschoben“, sagt er. Drinnen sind die Regale komplett leergeräumt und zum Teil zerstört. Im Lager, oben im ersten Stock, sei Feuer gelegt worden. Darüber seien Wohnungen. „Das hätte schlimmer ausgehen können“, sagt der Mann. [6]

Gefahr für Leib und Leben“: Spezialeinheiten bringen Viertel unter ihre Kontrolle

Rund 1500 militante G20-Gegner, vor allem aus dem schwarzen Block, sollen sich laut Polizei in dem Viertel aufgehalten haben. Die Polizei rief vor dem Vorrücken die Bürger via Facebook auf, sich deutlich von Gewalttätern zu distanzieren. „Wir gehen jetzt konsequent gegen die Straftäter im Schulterblatt vor. Unterstützt unsere Arbeit und entfernt euch umgehend!“ [7]

13 Personen wurden laut Polizei in einem Haus am Schulterblatt festgenommen. Bei den Krawallen wurden nach Polizeiangaben vom Freitagabend 197 Beamte verletzt, darunter seien keine Schwerverletzten. Zur Zahl der verletzten G20-Gegner und friedlichen Demonstranten konnten weder Polizei noch Feuerwehr Angaben machen. [8]

Die Polizei griff nach eigenen Angaben bei den schweren Krawallen in der Nacht zum Samstag nicht früher ein, weil sie um das Leben ihrer Beamten fürchtete. Nach Erkenntnissen der Polizei seien auf Dächern Gehwegplatten abgelegt und Brandflaschen vorbereitet gewesen. Beamte seien mit Stahlkugeln beschossen worden, sagte Sprecher Timo Zill. „Es ging eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Polizeibeamten aus. Wir wollten nicht schlecht vorbereitet in das Schanzenviertel gehen und die Räumung nicht durchbekommen.“ [9] Es sei alternativlos gewesen, Spezialeinheiten hinzuzuziehen. „Unser Einsatz hat gezeigt, dass wir diesen Mob sehr schnell wieder in den Griff bekommen haben“, sagte Polizeispreicher Timo Zill. [10]

Polizei drangsaliert Anwält*innen und Journalist*innen

In Hamburg häufen sich die Übergriffe auf Gegner des G-20-Gipfels, Journalisten und Anwälte. Der Anwaltliche Notdienst (AND) berichtete am Samstag morgen von einer Attacke mehrerer Polizisten gegen einen Anwalt in der Gefangenensammelstelle (Gesa) im Stadtteil Neuland in der Nähe des Harburger Bahnhofs, einem für den Gipfel errichteten Knast mit 400 Haftplätzen. [11]

Der Anwalt hatte darauf bestanden, dass sein Mandant sich nicht ausziehen müsse, woraufhin mehrere Polizist*innen den Rechtsanwalt packten, ihm ins Gesicht griffen, den Arm verdrehten und ihn aus der Gefangenensammelstelle schleiften. [12]

Nicht das Spiel der Polizei spielen

Wenn Steine fliegen, dann auf Polizisten, nicht auf deren Führung, die in Hamburg die eigenen Leute verheizt. Wahr ist ebenso, dass brennende Autos kein Argument der Kritik sind. Solcherart Geländespiele lassen sich nicht zur »militanten Gegengewalt« verklären. Sie sind Mist und machen es schwerer, jenen progressiven Ungehorsam zu verteidigen, auf den es die Polizeiführung eigentlich abgesehen hat: gut gelaunte Demos und Sitzblockaden im Sperrgebiet. Die sind politisch nämlich viel gefährlicher, weil radikal in der Kritik, aber dennoch anschlussfähig. Wenn jedoch durch den Rauch hindurch kaum noch jemand unterscheidet, freut das: die Polizeiführung. Wer dazu beiträgt, unterwirft sich, gewollt oder nicht, ihrem Zweck. [13]

Fußnoten:

[1] https://linksunten.indymedia.org/de/node/217623

[2] http://taz.de/Aufarbeitung-der-Krawallnacht/!5428061/

[3] http://taz.de/Aufarbeitung-der-Krawallnacht/!5428061/

[4] http://taz.de/Kommentar-G20-Protest-und-die-Polizei/!5428055/

[5] http://taz.de/Bilanz-der-Krawallnacht-in-Hamburg/!5428058/

[6] http://taz.de/Bilanz-der-Krawallnacht-in-Hamburg/!5428058/

[7] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g20-gipfel-in-hamburg-eskalation-am-schulterblatt-a-1156631.html

[8] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g20-gipfel-in-hamburg-eskalation-am-schulterblatt-a-1156631.html

[9] http://www.focus.de/politik/deutschland/g20-neue-demonstrationen-in-hamburg-gestartet_id_7326624.html

[10] http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Entsetzen-ueber-Krawalle-in-der-Schanze,randale286.html

[11] https://www.jungewelt.de/blogs/g20hh/314140

[12] https://linksunten.indymedia.org/de/node/217623

[13] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1056734.g-gipfel-zweckmaessige-eskalation.html