Rechte Verschwörungstheorien: Die „Reichsdeutschen“

Mit skurrilen Fantasiekonstrukten, wie dem "Reichsamt" versuchen "Reichsdeutsche" auf sich aufmerksam zu machen. Quelle: Screenshot "Reichsamt"

Die sogenannte „Reichsdeutsche Bewegung“ ist eine heterogene Szene, die von der Weiterexistenz des Deutschen Reiches ausgeht. Die Bundesrepublik existiert für sie nicht. Was ist so gefährlich an den „Reichsdeutschen“, die auf den ersten Blick nur lächerlich wirken?

Von Franziska Wilke, Julian Feller und Marko Neumann

In den vergangenen Jahren haben die „Reichsbürger“ zunehmend für Aufsehen gesorgt. Aus mehreren Bundesländern wurden Vorfälle mit Personen gemeldet, die die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen und behaupten, sie lebten im Deutschen Reich in den Grenzen von 1937. Die Wurzeln der Bewegung sind aber älter; der Geschichtsrevisionismus ist seit jeher ein Grundpfeiler der rechtsextremen Bewegung. [1]

Die Ursprünge der „Reichsdeutschen“

Die Verschwörungstheorien der Reichsbürgerbewegung gehen im Wesentlichen davon aus, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestehe, da die Weimarer Reichsverfassung weder von den Nationalsozialisten noch von den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs jemals abgeschafft wurde. Die Bundesrepublik sei hingegen nicht mit diesem identisch, sondern völker- und verfassungsrechtlich illegal und de jure nicht existent. Allein das Deutsche Reich bestehe in rechtsgültiger Weise fort und habe eine Regierung in Gestalt einer „kommissarischen Reichsregierung“, die im Augenblick zwar noch keine faktische Staatsgewalt habe, jedoch rechtsgültig die Regierungs- und Amtsgeschäfte für Deutschland ausführe. Darüber hinaus wird die Behauptung aufgestellt, die Bundesrepublik Deutschland wäre lediglich eine GmbH, auch grob vereinfacht „Deutschland GmbH“. [2]

Als Ursprung der Bewegung wird häufig Wolfgang Ebel gesehen, ein Fahrdienstleiter der Berliner S-Bahn, der dort 1985 die Kommissarische Reichsregierung (KRR) gründete. Ebel schuf die erste Organisation der Szene. Die Ideen aber sind älter und nicht von ihm. Sie stammen von Rechtsradikalen. Menschen wie der Rechtsterrorist Manfred Roeder und der Holocaustleugner und Volksverhetzer Horst Mahler haben sich die meisten der Theorien und Versatzstücke ausgedacht, mit denen Reichsbürger bis heute hantieren. [3]

„Reichsbürger wurzeln vom Denken her im Rechtsradikalismus“, sagt Michael Hüllen, der sich beim Brandenburger Verfassungsschutz mit Rechten und auch mit Reichsbürgern beschäftigt. „Ihre Ideologien sind die Domäne der Rechten.“ [4]

Schon die Selbstbeschreibung als Reichsbürger stellt einen klaren Bezug her. Denn das „Reichsbürgergesetz“ von 1935 kannte einfache Angehörige des deutschen Staates – das konnte jeder sein, der einen deutschen Pass bekam. Über ihnen aber standen die „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“, die geborenen Deutschen also, die Reichsbürger, die Herrenmenschen. [5]

In der Szene bewegen sich Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Sinnsucher, Verzweifelte, Gescheiterte und eben auch psychisch Kranke, die Wahnideen haben und selbstmordgefährdet sind. Aber damit allein lässt sich das Phänomen Reichsbürgertum nicht erklären. [6] Bis heute dominieren Rechtsextreme viele der Reichsbürgergruppen, auch wenn deren Mitglieder sich gegen die Einordnung als Rechte wehren. [7]

Überwachung durch den Verfassungsschutz

Während das Bundesamt für Verfassungsschutz die „Reichsbürger“ in seinem Jahresbericht nicht einmal erwähnt, haben mehrere Landesämter die Bewegung seit einigen Jahren genauer im Blick. So beispielsweise in Brandenburg, wo besonders viele „Reichsbürger“ aktiv sind. Hier veröffentlichte das Innenministerium bereits 2014 ein Handbuch, um über die Rechtsextremen aufzuklären. Auch Berlin, Hessen und Sachsen-Anhalt veröffentlichte bereits Handreichungen. Im Frühjahr kündigte das Brandenburger Finanzministerium sogar an, wegen Bedrohungen und zunehmender Aggressivität – „insbesondere seitens so genannter Reichsbürger“ – ein Notrufsystem in Finanzämtern zu testen. [8]

Verfassungsschützer fürchten, aus der Szene könnte irgendwann jemand wie Anders Behring Breivik hervorgehen. Der Norweger ist ein Anhänger rechter Verschwörungstheorien. Er brachte 2011 in Norwegen 77 Menschen um. Das Bundesinnenministerium warnte in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei bereits 2012 vor dieser Gefahr. [9]

In Brandenburg, Bayern, dem Saarland und Thüringen werden Reichsbürgergruppen vom Verfassungsschutz beobachtet und sind „längst mehr als ein skurriles Randphänomen“, wie die Behörden sagen. In den vergangenen Monaten gab es gleich mehrere Prozesse, bei denen Reichsbürger zu Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie Gerichtsvollzieher und Polizisten angegriffen oder versucht hatten, sich Waffen zu beschaffen. „Wir betrachten den Verlauf ihrer Entwicklung, nicht ihre Zahl“, sagt Hüllen vom Brandenburger Verfassungsschutz. „Und dabei wird eine Radikalisierung sichtbar.“ [10]

Natürlich ist längst nicht jeder Reichsbürger ein potenzieller Terrorist. Aber die Gefahr wächst, dass aus der Szene radikale Einzeltäter hervorgehen wie jene des Nationalsozialistischen Untergrundes. Denn die Zahl der Reichsbürger steigt. [11]

Ideologien und Verschwörungstheorien

Im Kern ist es eben eine Ideologie, die rassistisch, nationalistisch und gebietsrevisionistisch ist. Zudem gibt es einen latenten Antisemitismus, der sich mit dem Glauben an eine Weltverschwörung verknüpft. Das sind schon Schnittmengen zum klassischen Rechtsextremismus. Und hier ist das Gewaltpotenzial hoch. Es gibt eben Leute, die bereit sind, für ihre Überzeugung eine Waffe in die Hand zu nehmen. Dementsprechend kann es schon sein, dass man solche Fälle in den kommenden Jahren häufiger erlebt. [12]

Der einflussreiche thüringische Neonazi Thorsten Heise, ehemals Mitglied im NPD-Bundesvorstand, verkauft in seinem Szene-Shop gar „Neuschwabenland“-Schals – für Anhänger der unter Reichsbürgern beliebten Verschwörungstheorie, wonach sich Hitler am Ende des Zweiten Weltkriegs in ein Antarktis-Gebiet namens „Neuschwabenland“ gerettet habe. Das ist der Ort, wo auch die Ufos herkommen, die „Reichsflugscheiben“. [13]

Auch wenn die Zahl der „Reichsbürger“ wahrscheinlich gering ist – im Internet sind sie teilweise sehr sichtbar. Man stößt immer wieder auf ihre Thesen. Was ist davon zu halten und was kann man entgegnen? [14]

„Die Bundesrepublik Deutschland ist eine GmbH“ Die These wird gern damit belegt, dass es eine Finanzagentur des Bundes in Frankfurt gibt, über die Deutschland Geschäfte abwickelt. „Reichsbürger“ schlussfolgern, die Bundesrepublik sei eine unternehmerische Gesellschaft, kein Staat. Wer die Bundesrepublik anerkenne, gehöre zum Personal des Unternehmens und habe einen Personalausweis. „Reichsbürger“ stellen sich daher einen Personenausweis aus. Die „BRD GmbH“, so die Theorie, könne Gesetze erlassen. Sie habe aber „Reichsbürgern“ nichts zu sagen, sie seien nicht Personal der GmbH. [15] Diese Argumentation sei so absurd, dass sich im Grunde jede Diskussion verbiete, schreiben die Autoren Christa Caspar und Reinhard Neubauer in der Verwaltungsrechtszeitschrift „Landes- und Kommunalverwaltung“. Unternehmerische Gesellschaften können keine Gesetze erlassen. Die Finanzagentur des Bundes hat mit Gesetzgebung nichts zu tun, sie organisiert zum Beispiel die Ausgabe von Bundesanleihen. [16]

„Das Grundgesetz ist nicht gültig“ Die „Reichsbürger“ behaupten, das Grundgesetz sei nicht demokratisch legitimiert, das Volk habe nicht darüber abgestimmt. Arno Scherzberg, Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Universität Erfurt, hält die Argumentation für falsch. Es stimme zwar, dass es keine Volksabstimmung über die Verfassung gegeben habe. Eine solche Abstimmung entspräche aber auch gar nicht der deutschen Verfassungsgeschichte, sagt Scherzberg. „Weder die Reichsverfassung von 1871 noch die der Weimarer Republik wurden dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.“ Das Grundgesetz sei sehr wohl demokratisch legitimiert – unter anderem, weil gewählte Ministerpräsidenten und von den Landtagen beauftragte Gesandte es mit verfasst hätten. Außerdem hätten die Deutschen mit der Teilnahme an der ersten Bundestagswahl 1949 stillschweigend ihre Akzeptanz des neuen Regelwerks ausgedrückt. Er widerspricht auch der Behauptung, die Alliierten hätten das Grundgesetz diktiert. Die westlichen Siegermächte hätten zwar Vorgaben zu der Verfassung gemacht, „die beschränkten sich allerdings im Kern darauf, dass Deutschland ein Bundesstaat mit demokratischen Strukturen sein sollte“. [17]

„Deutschland ist ein besetztes Land“ Besatzungsrecht im Grundgesetz, fremde Soldaten auf deutschem Territorium – Reichsbürger führen unterschiedliche Argumente an, warum Deutschland ein besetztes Land sei. In ihrer Logik folgt daraus: In besetzten Ländern gilt die Haager Landkriegsordnung, die „Reichsbürger“ so interpretieren, dass Steuern und Beiträge „Plünderung“ seien und unter Strafe stünden. [18] „Abwegig“ – so nennt der Rechtswissenschaftler Christoph Ohler die Argumente. „Der Besatzungsstatus der Bundesrepublik endete 1955 mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrags“, sagt der Professor für Öffentliches Recht von der Universität Jena. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und den Alliierten habe das vorher geltende Besatzungsstatut aufgelöst. Allerdings, so Ohler, hielten sich die Alliierten Entscheidungsrechte vor, die für Berlin und ganz Deutschland galten. Diese „Alliierten Vorbehaltsrechte“ endeten laut Ohler jedoch mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990. Ein weiteres Argument der Reichsbürger für die fehlende Souveränität Deutschlands: die Anwesenheit von Soldaten anderer Nationen auf deutschem Territorium. Dass fremde Truppen in Deutschland stationiert sein dürfen, regeln laut Ohler Verträge. Diese könnten mit einer zweijährigen Frist aufgekündigt werden, was die Souveränität Deutschlands unterstreiche. [19]

Populärer „Reichsdeutscher“: Xavier Naidoo

Einem breiteren Publikum wurden die Reichsbürger durch einen der berühmtesten deutschen Popstars bekannt. Der Sänger Xavier Naidoo trat am Tag der deutschen Einheit 2014 auf einer Veranstaltung der Reichsbürger auf. Naidoo predigte über die von den USA besetzte Bundesrepublik und rief zum Widerstand auf. Von seinen Zuschauern wurde er im Berliner Regierungsviertel beklatscht – doch seither bekommt er viel Schelte. Vorwürfe, er sei rechtsgerichtet, wurden laut. Kritik an der Politik der USA äußert er seit Jahren. [20]

Im März wiederholte er seine Äußerungen, Deutschland sei nicht souverän, weil es mit den USA geheime Verträge abgeschlossen habe. Dem Magazin „Stern“ sagte er weiter: „Mein Image war eh schon immer etwas verdreht. Man bezeichnete mich als homophob, als esoterischen Spinner und als religiösen Fanatiker. All das bin ich genauso wenig wie rechtspopulistisch.“ Auf Anfrage des Deutschlandfunks teilte sein Management mit, Xavier halte sich derzeit nur für Open-Air-Veranstaltungen in Deutschland auf, daher werde die Beantwortung der von uns gestellten Fragen „in absehbarer Zeit nicht klappen“. [21]

Aktive der „Reichsdeutsche Bewegung“ auch in M-V

Anders als in anderen Bundesländern seien in Mecklenburg-Vorpommern gegenwärtig keine zielgerichteten und politisch bestimmten Bestrebungen der „Reichsbürger“ erkennbar. Nach Einschätzung von Innenminister Lorenz Caffier (CDU) stellt die „Reichsbürger“-Szene auch keine homogene Bewegung mit einheitlichen ideologischen Grundlagen dar und kann daher nicht pauschal der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden. [22]

Allerdings wurden seit 2011 gegen sieben Personen, die als „Reichsbürger“ im Nordosten bekannt sind, insgesamt 24 Strafverfahren eingeleitet – unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, Nötigung oder Beleidigung. [23]

Die Bewegung bereite Polizei und Kommunalverwaltungen der Länder aber immer größer werdende Probleme. Ihre Anhänger würden „immer aggressiver auftreten und auch vor dem Mittel der Gewalt nicht zurückschrecken, bei dem Versuch, ihre Ideologien durchzusetzen“, konstatierte Caffier. Auch deshalb hätten die Innenminister der Länder beschlossen, den Schutz von Amtsträgern und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu verbessern. 2012 habe sein Ministerium in einem Rundschreiben an die Landkreise die Strategien der „Reichsbürger“ erläutert und Handlungsempfehlungen gegeben. [24]

Laut Innenministerium nutzt in Mecklenburg-Vorpommern eine „größere Zahl von Einzelpersonen“ die Argumentationslinien der „Reichsbürger“, die als Bewegung 2008 erstmals im Verfassungsschutzbericht des Landes erwähnt worden sei. [25]

Fußnoten:

[1] https://www.tagesschau.de/inland/reichsbuerger-117.html

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsb%C3%BCrgerbewegung

[3] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-2

[4] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-2

[5] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-2

[6] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-2

[7] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-2

[8] https://www.tagesschau.de/inland/reichsbuerger-117.html

[9] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-3

[10] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-3

[11] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-3

[12] http://web.de/magazine/politik/reichsbuerger-deutschland-gefaehrlich-bewegung-31970170

[13] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter/seite-3

[14] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nach-georgensgmuend-die-mythen-der-reichsbuerger-a-1117578.html

[15] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nach-georgensgmuend-die-mythen-der-reichsbuerger-a-1117578.html

[16] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nach-georgensgmuend-die-mythen-der-reichsbuerger-a-1117578.html

[17] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nach-georgensgmuend-die-mythen-der-reichsbuerger-a-1117578.html

[18] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nach-georgensgmuend-die-mythen-der-reichsbuerger-a-1117578.html

[19] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nach-georgensgmuend-die-mythen-der-reichsbuerger-a-1117578.html

[20] http://www.deutschlandfunk.de/brd-nein-danke-wie-gefaehrlich-sind-die-reichsbuerger.1818.de.html?dram:article_id=326696

[21] http://www.deutschlandfunk.de/brd-nein-danke-wie-gefaehrlich-sind-die-reichsbuerger.1818.de.html?dram:article_id=326696

[22] http://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/24-strafverfahren-gegen-reichsbuerger-in-mv-id15142601.html

[23] http://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/24-strafverfahren-gegen-reichsbuerger-in-mv-id15142601.html

[24] http://www.nnn.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/24-strafverfahren-gegen-reichsbuerger-in-mv-id15142601.html

[25] http://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/24-strafverfahren-gegen-reichsbuerger-in-mv-id15142601.html