Staatlich organisierte Judenverfolgung: Die Reichspogromnacht 1938

Antisemitismus war von Beginn an ein Grundpfeiler des deutschen Faschismus. Trotzdem bildete die Reichspogromnacht eine entscheidende Wegmarke der deutschen Verfolgung von Jüdinnen und Juden auf den Weg nach Auschwitz.

Von Franziska Wilke und Marko Neumann

Hitlers Reich in den 30er Jahren. Die Propaganda des NS-Regimes beschwört die deutsche Volksgemeinschaft und entscheidet wer dazu gehört, von Kindesbeinen an. Doch wer ausgegrenzt wird, wie die Juden, wird verachtet, entrechtet, verfolgt. Es beginnt mit dem Boykott jüdischer Geschäfte, und mündet immer öfter in Gewalt. [1]

Am 9. November 1938 gipfelte der staatliche Antisemitismus in einem Pogrom gegen die Juden. Die Ausschreitungen waren von der nationalsozialistischen Führung organisiert, die die Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Bürger seit der „Machtergreifung“ Hitlers 1933 systematisch vorantrieb. [2]

Während der Pogrome wurden im Gebiet des Deutschen Reiches 91 Menschen ermordet. Viele Menschen starben noch Tage und Wochen später an ihren schweren Verletzungen. In den darauffolgenden Tagen wurden über 30.000 jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Die materielle Bilanz der Gewalt waren 1.200 niedergebrannte Synagogen und Gebetshäuser und 7.500 zerstörte Geschäfte. Die Pogrome und die aufgeheizte antisemitische Stimmung im Land übten auch indirekt Gewalt auf die jüdische Bevölkerung aus: Die Zahl der Suizide jüdischer Bürger nahm in der Zeit nach der Pogromnacht stark zu. [3]

Die Weisung zu dem Pogrom war von München ausgegangen, wo sich die Führung der NSDAP zum Gedenken an den 15. Jahrestag des Hitler-Putsches versammelt hatte. Als Vorwand des von ihnen als angeblich spontanen Akt des „Volkszorns“ deklarierten Terrors nutzten die Nationalsozialisten die Ermordung des Legationssekretärs an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, durch den erst siebzehnjährigen Herschel Grynszpan. Er wollte so auf die Abschiebung von 17.000 polnischen Juden, zu denen auch seine Eltern zählten, nach Polen aufmerksam machen. Die aufgrund der zerstörten Schaufensterscheiben bald als „Reichskristallnacht“ bekannt gewordenen Ausschreitungen waren bis dahin der Höhepunkt eines staatlichen Antisemitismus, der mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begonnen hatte. [4]

SS und Gestapo organisierten die Verschleppung von etwa 26.000 jüdischen Männer und Jugendlicher in die KZ Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen. Die Masse der Inhaftierten kam erst nach Auswanderungserklärungen frei. [5]

Die antisemitischen Ausschreitungen im Rahmen der „Reichspogromnacht“ waren ein Wendepunkt in der Geschichte der Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland, obwohl auch davor schon Synagogen in Brand gesetzt worden waren. Die erste systematische reichsweite Aktion gegen die jüdische Bevölkerung war der Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933. Mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurde antisemitischen Überzeugungen auch gesetzlicher Rückhalt verschafft. In den Tagen und Monaten nach den Pogromen wurde eine neue Welle von Gesetzen verabschiedet, die die Rechte der jüdischen Bevölkerung noch weiter einschränkten. [6]

In der Bundesrepublik war der Holocaust bis zum Ende der 1950er Jahre kaum Thema. Erst seit den späten 1960er Jahren befasste sich die westdeutsche Öffentlichkeit intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Frage der Verantwortung. Statt des euphemistischen Begriffs „Reichskristallnacht“, der während der nationalsozialistischen Herrschaft geprägt wurde und lange auch in der westdeutschen Erinnerungskultur Verwendung fand, wird heute der Begriff „Reichspogromnacht“ verwendet. [7]

 

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/wissen/videos/1938-die-pogromnacht-november-1938-kommt-es-zu-gewaltexzessen-gegen-juden-im-gesamten-deutschen-reich_id_5272628.html

[2] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68670/9-november-1938-08-11-201

[3] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68670/9-november-1938-08-11-2011

[4] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ausgrenzung-und-verfolgung/novemberpogrom-1938.html

[5] http://www.wasistwas.de/archiv-geschichte-details/der-9-november-schicksalstag-der-deutschen.html

[6] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68670/9-november-1938-08-11-2011

[7] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68670/9-november-1938-08-11-2011