Hilfe für die „nationale Revolution“? – Die deutsche Wirtschaft und die Nazis

Hat die Großindustrie die Nazis an die Macht gebracht? Diese Frage ist von entscheidender Bedeutung, will man das faschistische Regime in Deutschland ab 1933 verstehen.

Der Gedenkort in Rostock an der ehemaligen Heinkelhalle für die sowjetischen.
Der Gedenkort in Rostock an der ehemaligen Heinkelhalle für die sowjetischen.

Viele Jahrzehnte wurde eine mögliche massive finanzielle Unterstützung der Nazis durch Wirtschaft und Industrie gleichgesetzt mit der Übertragung der Macht an die NSDAP. Beide Aspekte sind jedoch voneinander zu trennen. Zwar hatte die Industrie bis zu den großen Wahlerfolgen der NSDAP nach der Weltwirtschaftskrise 1930 relativ geringe Spendensummen an die Nazi-Partei getätigt – ihre politischen Kampagnen, die deutlich gegen linke Parteien und die Weimarer Ordnung ganz grundsätzlich gerichtet waren, halfen Hitlers Bewegung dennoch auf dem Weg zur Macht im Deutschen Reich.

Kontakte zur Industrie schon in den frühen 1920er Jahren

Schon die Vorgängerpartei der NSDAP, die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) erhielt Gelder von Gönner_innen jeder Art und insbesondere auch von Industriellen. Mit dem Scheitern des Putschversuches 1923 wandten sich jedoch nahezu sämtliche externen Geldgeber_innen wieder von den Nationalsozialisten ab. Mitte der 1920er Jahre war die Partei fast vollständig auf Beiträge oder Eintrittsgelder angewiesen. Nur einzelne mittelständische Unternehmer wie der Klavierbauer Edwin Bechstein oder der Verleger Hugo Bruckmann griffen Hitler beim Neuaufbau seiner Partei finanziell unter die Arme. Ende des Jahres 1926 versuchten die Nationalsozialisten durch intensives Werben bei der Großindustrie neue Geldquellen zu erschließen. So verfasste Hitler unter anderem eine Schrift unter dem Titel „Der Weg zum Wiederaufstieg“, der gezielt unter Industriellen verbreitet wurde. In einem anderen Rundbrief an mehrere Großindustrielle warb die NSDAP 1927 offen um Geld. In dem Papier heißt es unter anderem:

„Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei hat auch den Schutz des rechtmäßig erworbenen Eigentums auf ihr Programm geschrieben. Durch die Begeisterung ihrer Anhänger und durch ihre straffe Organisation ist sie allein in der Lage, dem Terror von links wirksam entgegenzutreten. Leider ist das ohne bedeutende Geldmittel nicht zu machen. Es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als uns an die deutsch und deutsch-völkisch gesinnten Kreise aus Industrie und Handel mit der Bitte um Unterstützung zu wenden .“

Als Splitterpartei blieb die DAP und ihre Nachfolgepartei NSDAP jedoch für die Industrie bis zum überraschenden Wahlerfolg 1930 nach Beginn der Wirtschaftskrise relativ uninteressant.

Politische Kampagnen der Industrie ebneten der NSDAP den Weg

Obwohl die Spenden verschiedener Wirtschafts- und Industrieunternehmer_innen bis zur Machtübertragung ehr gering ausfielen, trugen die politischen Kampagnen gegen die bürgerlich-demokratische Ordnung der Weimarer Republik und nicht zuletzt gegen linke Parteien und Gewerkschaften maßgeblich zum Aufstieg der NSDAP bei.
Im Frühjahr 1930 arbeiteten verschiedene Großindustrielle auf einen Bruch der Großen Koalition unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller hin, die letzte parlamentarische Regierung der Weimarer Republik. Der Vorsitzende des Reichsverbandes der deutschen Industrie (RDI) Carl Duisberg sprach damals offen aus, dass sein Verband „eine ganz andere Fahrtrichtung im kapitalistischen Sinne, nicht im sozialistischen Sinne“ anstrebte. Der Verband organisierte eine politische Kampagne, die im Dezember 1929 in der Denkschrift „Aufstieg oder Niedergang“ gipfelte. Hier sagten die Industriellen der Sozialpolitik der Weimarer Republik den offenen Kampf an. Sie forderten unter anderem den Reichshaushalt durch harte Sparmaßnahmen auszugleichen, gleichzeitig die Steuern für Unternehmer zu senken und Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung. Dass diese Forderungen damals nur gegen die Sozialdemokratie und die erstarkenden Kommunist_innen durchzusetzen waren, wurde wissentlich einkalkuliert. Die Installation der Regierung Brüning, die den Beginn der Präsidialkabinette markierte und eben die Politik des Haushaltsausgleichs und der Sozialkürzungen umsetzte, wurde vom RDI denn auch ausdrücklich begrüßt. Im Sommer 1930 drängten verschiedene Industrielle, jetzt endlich den Artikel 48 anzuwenden, der eine Gesetzgebung über Notverordnungen ohne Zustimmung des Parlaments erlaubte.

Ohne den Sozialabbau und die damit einhergehende Verarmung großer Teile der Bevölkerung wären die Wahlerfolge der NSDAP nur schwer möglich gewesen. Selbst Eberhard Kolb, ein ausgewiesener Gegner der These, die Großindustrie hätte die Nazis mit massiver finanzieller Unterstützung an die Macht gebracht, schrieb 2002:

„Das Unternehmerlager hat durch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und die Hinneigung zu einem autoritären System die Auflösung der Weimarer Republik vorangetrieben und der Diktatur vorgearbeitet. Daher trägt die Industrie im allgemeinen und die Großindustrie im besonderen ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Ermöglichung Hitlers und der NS-Herrschaft.“