Vier Wochen vor den Bundestagswahlen: Alternative Internetplattform indymedia.linksunten verboten

Deutschlands größte alternative Internetplattform indymedia.linksunten wurde vom Bundesinnenministerium verboten

Der Rechtsruck in der Bundesrepublik geht weiter. Das linksalternative Internetportal indymedia.linksunten hat vergangenen Freitag vom Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verbieten lassen. Linksunten galt als die größte deutsche linksradikale Plattform. Während linksunten bereits eine Rückkehr angekündigt hat, kritisieren Parteien und Verbände das Verbot als wahlkampftaktisches Manöver.

Von Franziska Wilke, Philipp Gutrun-Hahn und Julian Feller

Das Portal sei „die einflussreichste Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland“, behauptete das Innenministerium am Freitag. Ihm wird unter anderem zur Last gelegt, „für gewaltsame Aktionen“ am Rande des G-20-Gipfels in Hamburg mobilisiert zu haben, Bekennerschreiben zu veröffentlichen und sich nicht von Gewalt zu distanzieren – Handlungen, die man jedem beliebigen Medium, das auch Originaltöne zitiert, zum Vorwurf machen könnte. [1]

Rechtliche Grundlage des Verbots fragwürdig

Der Verfassungsschutz bezeichnet linksunten.indymedia als Medium. Damit räumt sogar das Bundesamt ein, dass das Portal grundsätzlich unter dem Schutz von Artikel 5 des Grundgesetzes, der Pressefreiheit, steht. Die rechtliche Hürde für eine so umfassende Maßnahme wie die Abschaltung einer Webseite und einen Bruch des Redaktionsgeheimnisses ist in diesem Fall besonders hoch. [2]

Allerdings hat das Bundesinnenministerium für die Begründung des Verbots einen anderen juristischen Hebels benutzt – das Vereinsrecht. Linksunten.indymedia gilt nun als linksextremer Verein, auch wenn dessen Name gar nicht im Vereinsregister aufgeführt ist. [3]

In einer Nebenverfügung ordnete das Innenministerium die Abschaltung der Webseite an. Der Betreiber des Servers, der wohl in Frankreich steht, wollte die Seite allerdings erst auf Grund eines deutschen Rechtshilfeersuchens vom Netz nehmen. Ein entsprechendes Ersuchen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe wurde am Freitag sofort auf den Weg gebracht. Lange vor dessen Eintreffen wurde die Seite im Lauf des Tages dann aber von den Hosts oder den Seitenbetreibern vom Netz genommen und durch die Meldung „Wir sind zur Zeit offline“ ersetzt. [4]

Reaktionen auf das Verbot

Die Linkspartei zeigte sich am Freitag erstaunt über den Zeitpunkt des Verbots. „Es ist ziemlich verwunderlich, dass eine Plattform, die viele Jahre betrieben wird, jetzt plötzlich verboten wird“, erklärte LINKE-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn. Dies gelte gerade in einer Zeit, in der die AfD eine Hetze gegen alles betreibe, was sich links versammele. „Wir erleben im Land einen Marsch nach rechts“, sagte Höhn. Darauf müsse die Regierung ihren Schwerpunkt legen. [5]

Der sächsische Grünen-Politiker und Rechtsanwalt Jürgen Kasek wirft dem Ministerium vor, eine Haftung „konstruiert“ zu haben. Und Patrick Schiffer, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland, erklärt, die Aufgabe de Maizières dürfe nicht sein, „die freie Presse in ihre Schranken zu weisen und das hohe Gut der Meinungsfreiheit im Keim zu ersticken“. [6]

Jetzt, infolge der G-20-Proteste und vor dem Bundestagswahlkampf, greift das Innenministerium ein. Kritik daran kommt auch von ungewohnter Seite: Das Verbot sei „mehr Wahlkampf-Symbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale“ heißt es aus dem Bund Deutscher Kriminalbeamter. [7]

Don’t hate the media – be the media“

Indymedia steht für Independent Media Center und ist ein internationales Netzwerk aus Medienaktivisten, Hackern und Journalisten. Ihr gemeinsames Ziel: auf Non-Profit-Basis unabhängig von großen Verlagen und Sendern zu berichten und so eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen – als „Teil der Bewegung“. [8]

Die Plattform entstand 1999 anlässlich einer Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle. Sie ist globalisierungskritisch und antikapitalistisch ausgerichtet. Auf Indymedia kann jeder veröffentlichen, auch anonym. Indymedia hat nicht den Anspruch, objektiv zu sein, sondern vielmehr radikal subjektiv. Der Slogan der Plattform: „Don’t hate the media, become the media!“ [9]

Indymedia und auch der Ableger linksunten.indymedia waren immer auch Plattformen für fundierte Recherchen über die rechtsradikale Szene, beispielsweise über das Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds, aber auch über militante Rechtsextremisten, die im Nachgang der Berichterstattung auf Linksunten u.a. wegen dem Fund von Rohrbomben verhaftet wurden. [10]

Zwei Beispiele aus dem letzten Jahr: Als Aktivisten der Antifa die Vernetzungen sämtlicher an dem Überfall auf Connewitz beteiligten Neonazi-Hooligans recherchierten und online stellten, gab die Polizei selbst offen zu, dass das die Ermittlungen voranbringen würde. Und als im Juni tausende WhatsApp-Nachrichten aus einer internen Gruppe der AfD Sachsen-Anhalt auf linksunten auftauchten, kündigte die Bundespolizei Ermittlungen gegen einen ihrer eigenen Beamten an, der in der Gruppe offen von einem Bürgerkrieg gegen „Muselmane“ fantasiert hatte. [11]

Nicht mundtot zu kriegen

Auf der Website war ein Bild der Schauspielerin und Sängerin Barbara Streisand mit einem abgeklebten Mund zu sehen – eine Anspielung auf den nach ihr benannten Effekt, wonach der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken oder entfernen zu lassen, öffentliche Aufmerksamkeit nach sich zieht und dadurch das Gegenteil erreicht wird, dass nämlich die Information einem noch größeren Personenkreis bekannt wird. [12]

„Der Cyberspace liegt nicht innerhalb Eurer Hoheitsgebiete. Glaubt nicht, Ihr könntet ihn gestalten, als wäre er ein öffentliches Projekt. Ihr könnt es nicht“, schrieben die nicht namentlich genannten Verfasser auf der Seite. Bei dem Text handelt es sich um Auszüge der 1996 von John Perry Barlow veröffentlichten „Declaration of the Independence of Cyberspace“ (Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace). Der Netzpionier und Bürgerrechtler hielt darin ein flammendes Plädoyer für Freiheit und gegen staatliche Kontrolle im Internet. [13]

Angst vor linken Reaktionen nach Verbot

Das Bunndeskriminalamt (BKA) warnt davor, dass es zu schweren Brandstiftungen wie beim G-20-Gipfel in Hamburg kommen könne. „Die linke Szene dürfte das Verbot als Folge der öffentlichen und politischen Debatte um die gewalttätigen Ausschreitungen des G-20-Gipfels im Juli in Hamburg sowie über die linke bzw. linksextreme Szene in Deutschland auslegen“, heißt es in einer vertraulichen „Gefährdungsbewertung“ des BKA vom 25. August, die der WELT AM SONNTAG vorliegt. [14]

Das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg hat das BKA auf die „besondere Brisanz“ für einen Wahlkampfauftritt de Maizières hingewiesen, der am 28. August in Weil am Rhein stattfinden soll. Gleichzeitig wird der Schutz für LKA-Präsident Ralf Michelfelder und für seinen Vize Klaus Ziwey erhöht. Deren Wohnsitze sollen in den kommenden Wochen rund um die Uhr bewacht werden. Das geht aus einem „VS – nur für den Dienstgebrauch“ gestempelten Papier des LKA hervor, das ebenfalls vom 25. August datiert ist. [15]

linksunten-Verbot als Wahlkampfaktion

Wir sind in der heißen Phase des Wahlkampfes. Und Thomas de Maizière muss wohl noch die Mitte-Rechts-Bürger und Linkshasser bedienen, damit sie guten Gewissens am 24. September ihr Kreuzchen bei der CDU machen können. Nach dem Motto: Die Regierung hat sich doch so gut gegen das bei G20 offensichtlich gewordene „Problem“ mit Linksextremismus eingesetzt. [16]

Laut Amadeu Antonio Stiftung gab es in Deutschland seit 1990 179 Todesopfer rechter Gewalt, das Bundeskriminalamt erkennt davon 75 an. Die Zahl der durch linke Gewalt registrierten Todesfälle schwankt je nach Quelle zwischen null und fünf. In der Woche, in der sich Rostock-Lichtenhagen zum 25. Mal jährt, ist de Maizières Maßnahme besonders bitter: Seine Prioritäten sind linksunten. [17]

Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/317027.cyberkrieg-gegen-links.html

[2] http://www.zeit.de/kultur/2017-08/indymedia-linksunten-abschaltung-rechtlich/seite-2

[3] http://www.zeit.de/kultur/2017-08/indymedia-linksunten-abschaltung-rechtlich/seite-2

[4] http://taz.de/Verbotsverfuegung-gegen-linksunten/!5442346/

[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1061791.linksunten-dicht-rechts-obenauf.html

[6] http://www.zeit.de/kultur/2017-08/indymedia-linksunten-abschaltung-rechtlich

[7] https://netzpolitik.org/2017/die-geschichte-von-indymedia-ein-vorreiter-des-buergerjournalismus/

[8] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-08/indymedia-linksextreme-interseite-faq

[9] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-08/indymedia-linksextreme-interseite-faq

[10] https://netzpolitik.org/2017/die-geschichte-von-indymedia-ein-vorreiter-des-buergerjournalismus/

[11] https://www.vice.com/de/article/a334nj/mit-dem-indymedia-verbot-haben-sich-die-behorden-selbst-ins-bein-geschossen

[12] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1061801.linksunten-indymedia-meldet-sich-bald-wieder-zurueck.html

[13] http://www.tagesspiegel.de/politik/linksunten-indymedia-verbotene-internetplattform-linksunten-meldet-sich-im-netz-zurueck/20242432.html

[14] https://www.welt.de/politik/deutschland/article168019734/BKA-warnt-vor-schweren-Vergeltungsaktionen-von-Linksextremisten.html

[15] https://www.welt.de/politik/deutschland/article168019734/BKA-warnt-vor-schweren-Vergeltungsaktionen-von-Linksextremisten.html

[16] http://www.fr.de/politik/meinung/kommentare/linksunten-indymedia-org-die-prioritaeten-sind-linksunten-a-1338820

[17] http://www.fr.de/politik/meinung/kommentare/linksunten-indymedia-org-die-prioritaeten-sind-linksunten-a-1338820