In der Nacht nach dem G20-Gipfel: Die Eskalation ging weiter

Der Einsatz und das Verhalten der Polizei während des G20-Gipfels in Hamburg muss kritisch betrachtet werden.

Trotz des friedlichen Verlaufs des Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“, an der weit über 70.000 Menschen teilnahmen, setzte die Polizei in Hamburg weiterhin auf Eskalation. Das Schanzenviertel wurde abgeriegelt, erneut schwer bewaffnete Sondereinheiten aufgefahren, teilweise griff die Polizei Unbeteiligte an. Berliner Politiker*innen fordern Konsequenzen nach dem Agieren der Sicherheitsbehörden.

Von Franziska Wilke, Fulian Feller und Marko Neumann

Nach einem weitgehend friedlichen Ausklang der Großdemonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg ist die Lage am späten Abend erneut eskaliert. Die Polizei riegelte mit einem Großaufgebot das Schanzenviertel komplett ab, setzte Wasserwerfer und Pfefferspray ein. Greiftrupps machten Jagd auf einzelne Menschen. [1]

Übergriffe auf Demonstrant*innen und Unberteiligte

Schon gegen 19 Uhr hatte eine Beweis- und Festnahmeeinheit die Eingänge des Flora-Parks am Schulterblatt abgesperrt und durchkämmt. Es wurden mehrere Menschen kontrolliert, von einigen wurden die Personalien aufgenommen. Herumliegende Rucksäcke wurden durchsucht. Offenbar wurden zwei Menschen festgenommen. [2]

In der Gefangensammelstelle in Hamburg-Harburg befanden sich nach Angaben der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke am Samstagabend 290 Personen. Sie kritisierte, dass es massive Probleme gebe, ihnen die Nummer des anwaltlichen Notdienstes zu geben. „Stattdessen werden Telefonbücher hingelegt mit der Aufforderung, sich einen Anwalt herauszusuchen.“ [3] Im wesentlichen seien die Anträge auf Haftbefehle von den Gerichten zurückgewiesen worden, dafür sei Gewahrsam bis Sonntag zwischen 15 und 18 Uhr ausgesprochen worden, sagte sie. [4]

Im Gespräch mit junge Welt zeigten sich Opfer des Polizeieinsatzes entsetzt. Ein englischsprachiger Tourist zeigte sich fassungslos: »Die Menschen haben einfach nur auf der Straße gesessen und getrunken, da war nichts!« Ein anderer Mann, der sich eine Verletzung an der Hand zugezogen hatte, berichtete, dass er mit fünf Bekannten vor einer Gaststätte gesessen habe, als plötzlich und ohne jeden Anlass die Polizisten die Straße gestürmt hätten. »Ich war bisher immer für solche Einsätze, aber das war eine reine Provokation«, sagte er. Niemand dürfe sich wundern, wenn nach diesem Vorgehen die Lage in der Nacht endgültig eskaliere. [5]

Polizeieinsatz am Donnerstag weiter in der Kritik

Nicht minder schwer wiegen die Vorwürfe zum 6. Juli, als eine Demo am Hamburger Fischmarkt aus nichtigem Grund gestoppt, dann angegriffen und gewaltsam aufgelöst wurde. Zahlreiche Menschen wurden dabei verletzt. Hier hatte die Hamburger Polizeiführung wissentlich und vorsätzlich Menschenleben gefährdet. Einziger Fluchtweg in der engen Schlucht zwischen zwei Mauern und der Straße war lediglich der Weg über die hohe Steinbrüstung. Es gibt Bilder, die belegen, wie die Polizei die Demonstranten mit Pfefferspray und CS-Reizgas über eben diese Mauer trieben. Es war der einzige Weg der Polizei zu entkommen, das war schlicht verantwortungslos mit Menschenleben so umzugehen. Die Bilder gleichen einer Viehherde, wie sie in Panik versucht zu fliehen und dabei verletzt wird. Darunter auch zahlreiche Unbeteiligte, die einfach nur raus wollten, dem Kessel entfliehen, doch das war nicht möglich. Das ging nur über die Mauer links hinaus. Der Weg nach vorne hin war versperrt durch 4 Wasserwerfer und nach hinten raus standen tausende Demonstranten. Panik brach aus. Verstörende Bilder im Ergebnis. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit spielte sich ein Drama ab und Hartmut Dudde, der Gesamteinsatzleiter der Polizei trägt auch dafür die volle Verantwortung. [6]

»Die Versammlungsfreiheit als Grund- und Menschenrecht galt in Hamburg nicht«, bilanziert das Komitee für Grundrechte. »Wir haben beobachtet, in welchem Maße die Polizei in diesen Tagen die Macht über das Geschehen in der Stadt übernommen hat. Sie hat eskaliert, Bürger- und Menschenrechte ignoriert, sie informierte die Öffentlichkeit falsch und ging mit großer Gewalt gegen die Menschen vor.« Auch der Bewegungsforscher Peter Ullrich zieht dieses Fazit. »Die Polizei hat offensichtlich freie Hand bekommen von der Bundes- und Landespolitik«. Hintergrund dieses Freischeins sei die politische Entscheidung, der Durchsetzung des Gipfels höchste Priorität einzuräumen. Dafür sei die Versammlungsfreiheit »deutlich heruntergestuft« worden. Die Polizeieinsätze erinnerten dabei an die 1960er Jahre: »Sobald etwas nicht zulässig war, etwa Vermummung, wurde draufgehauen.« [7]

Ullrich bezieht sich dabei auf die linksradikale »Welcome to hell«-Demonstration am Donnerstag. Die Polizei hatte den gesamten Zug aufgehalten, mit der Begründung, es hielten sich 1000 Vermummte darin auf. »Der Großteil der Leute hatte ihre Vermummung längst abgenommen«, berichtete die LINKE-Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig. Die Polizei griff die Demonstranten dennoch mit Pfefferspray und Wasserwerfern an. Selbst Reporter von NDR, Deutschlandfunk und Spiegel berichteten übereinstimmend, dass es die Polizei war, die die Situation eskalieren ließ. Elke Steven vom Komitee für Grundrechte zeigte sich empört. »Das Vorgehen der Beamten hatte mit einem rechtsstaatlichen Vorgehen nicht mehr zu tun.« In mehreren Situationen habe die Polizei gezielt Panik ausgelöst. Das sei hochgefährlich gewesen. [8]

Politiker*inen fordern Konsequenzen

Christiane Schneider – Fachsprecherin der LINKEN und Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft hat jedenfalls schon Konsequenzen angekündigt. „Zahlreiche Rechtsbrüche wurden begangen“, die Sache muss ein Nachspiel haben, so Schneider im Interview mit Huffington Post. „Die Hamburger Bürgerschaft wird sich lange noch mit den Vorgängen dieses Gipfels befassen müssen.“ Angefangen bei den Camp-Verboten zu Beginn des Gipfels bis hin zu rechtswidrigen Eingriffen in die Versammlungs- und Pressefreiheit. Auch Anwälte seien körperlich angegangen, herumgeschubst und beleidigt worden. Eine solche Vielzahl verletzter Grundrechte müsse unbedingt aufgearbeitet werden. Scholz müsse sich für alle diese Vorgänge auch „verantworten“, so Schneider im Interview am gestrigen Samstag Abend. [9]

Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/blogs/g20hh/314160

[2] https://www.jungewelt.de/blogs/g20hh/314160

[3] http://www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/Thema-des-Tages/G20-Proteste-Dritte-Nacht-mit-Gewalt-in-Hamburg

[4] http://www.nordkurier.de/nachrichten/ticker/g20-proteste-naechte-der-gewalt-in-hamburg-0929250707.html

[5] https://www.jungewelt.de/blogs/g20hh/314160

[6] http://www.huffingtonpost.de/max-bryan/g20-bilanz-hamburg-polizei-versagen-demonstration_b_17443512.html

[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1056752.der-g-protest-endet-nicht-im-schanzenviertel.html

[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1056752.der-g-protest-endet-nicht-im-schanzenviertel.html

[9] http://www.huffingtonpost.de/max-bryan/g20-bilanz-hamburg-polizei-versagen-demonstration_b_17443512.html