65.000 bei Konzert gegen rechte Hetze in Chemnitz

Nach den tagelangen Ausschreitungen der rechten Mobs in Chemnitz kamen gestern rund 65.000 zum Konzert #wirsindmehr, um ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Bandes wie Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet traten u.a. zusammen mit dem Rapper Marteria auf. Aufmärsche rechtspopulistischer Gruppierungen wie Thügida und Pro Chemnitz wurden verboten.

Von Franziska Wilke und Julian Feller

Das Konzert gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in Chemnitz hat am Montag rund 65.000 Menschen in die sächsische Stadt gelockt. Diese Zahl gab die Stadt am Montag an. Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub oder Feine Sahne Fischfilet waren unter dem Motto „#wirsindmehr“ nach Chemnitz gekommen. Nach Polizeiangaben blieb es friedlich. [1]

Geplante Gegenveranstaltungen des ausländer- und islamfeindlichen Bündnisses Thügida und der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz waren von der Stadt untersagt worden. [2] Martin Kohlmann, Kopf von Pro Chemnitz, hatte daraufhin auf Facebook zur “kritischen Teilnahme an der musikalischen Propaganda-Veranstaltung“ aufgerufen, zumindest bis 19:30 Uhr sah es aber nicht so aus, als seien Menschen in nennenswerter Anzahl diesem Aufruf gefolgt. [3]

Das Konzert war eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen Deutschen vor gut einer Woche und die folgende Vereinnahmung der Bluttat durch rechtspopulistische und rechtsextreme Aktivisten. Tatverdächtige sind zwei Asylbewerber. In der Folge kam es zu rassistischen Ausschreitungen und Demonstrationen in Chemnitz. [4]

„Es geht darum, andere Bilder zu senden“, sagt der Rapper Marteria, der eigentlich Marten Laciny heißt. Er weiß, was es heißt, wenn die Heimatstadt plötzlich die Titelseiten dieser Welt ziert. Marteria ist Sohn einer Lehrerin und eines Seemannes, groß geworden im Rostocker Stadtteil Groß Klein, ein Plattenbaugebiet, nur ein paar Hundert Meter Luftlinie vom Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen entfernt, vor dem ein enthemmter Mob vor ziemlich genau 26 Jahren Molotowcocktails durch die Fenster der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber warf, Menschen aufs Dach fliehen mussten, die Polizei hilflos daneben oder gar nirgendwo stand. „Damals saß ich mit meiner Mutter und meiner Schwester heulend im Wohnzimmer“, sagt Marteria. [5]

Tote-Hosen-Frontmann Campino bezeichnete das Konzert als Mutmacher. Die Leute zeigten sich durch ihren Besuch solidarisch mit denen, „die hier bleiben, die diesen täglichen Kampf für uns alle durchziehen, die gegenhalten“. Doch Illusionen will sich keiner hingeben. Mit einem Konzert die Welt retten? Bestimmt nicht, sagte Kraftklub-Sänger Felix Brummer. Doch er betonte: „Manchmal ist es wichtig, zu zeigen, dass man nicht allein ist.“ [6]

Viele Besucher des Konzerts sind von weit her angereist. Sie wollten mit ihrer Teilnahme zeigen, dass man nicht zusieht, wenn der rechte Mob die Straßen erobert. Dass ein Konzert nicht genug ist, um sich dauerhaft gegen Rassismus einzusetzen, das wissen alle. [7]

Nach den Protesten und Demons­trationen in Chemnitz gibt es bisher 51 Ermittlungsverfahren. Die Tatverdächtigen vom 26. und 27. August sind meist unbekannt. Die Delikte: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie den Hitlergruß, Körperverletzung und versuchte gefährliche Körperverletzung, Verdacht des Landfriedensbruchs, Beleidigung sowie gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr durch Blendung der Piloten von Polizeihubschraubern mit Laser-Pointern. [8]

Fußnoten:

[1] https://www.nordkurier.de/kultur-und-freizeit/mehr-als-20000-besucher-zu-konzert-in-chemnitz-erwartet-livestream-0333043209

[2] https://www.nordkurier.de/kultur-und-freizeit/mehr-als-20000-besucher-zu-konzert-in-chemnitz-erwartet-livestream-0333043209

[3] http://taz.de/wirsindmehr-Konzert-gegen-Rassismus/!5532967/

[4] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1099396.wir-sind-mehr-bei-antifa-konzert-in-chemnitz.html

[5] https://www.sueddeutsche.de/politik/konzert-chemnitz-feine-sahne-fischfilet-casper-marteria-kraftklub-1.4115999

[6] https://www.tagesschau.de/inland/chemnitz-wirsindmehr-111.html

[7] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wirsindmehr-konzert-gegen-rechts-chemnitz-will-viel-mehr-sein-a-1226373.html

[8] https://www.wr.de/politik/das-andere-chemnitz-so-verlief-das-konzert-gegen-rechts-id215248293.html