Der Hannibal-Komplex: Prepper-Zelle im Reservistenverband Mecklenburg-Vorpommern

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus der Studie „Der Hannibal-Komplex – Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten“ der Informationsstelle Militarisierung e.V.. Der Abschnitt befasst sich mit den Prepper Strukturen im Reservistenverband Mecklenburg-Vorpommern. Die komplette Studie kann online abgerufen werden unter www.imi-online.de.

Im Zuge der Untersuchungen gegen Franco Albrecht wurden die Ermittlungsbehörden auf die Chatgruppe Süd und davon ausgehend auf die anderen Chatgruppen aufmerksam. André S. Ordnete kurz nach der Festnahme Albrechts die Löschung der Chats an. Ein Teil der Chats konnte von der Polizei jedoch rekonstruiert werden. So stieß sie dann auch auf die Chats Nordkreuz, Nord.Com, Nord und Vier gewinnt, deren Mitglieder schwerpunktmäßig aus Mecklenburg-Vorpommern stammen. Ein Großteil der Mitglieder dieser Chats lässt sich klar dem neu-rechten und neonazistischen Spektrum zuordnen. André S. übernahm in diesen Chats unter dem Decknamen „Hannibal“ eine leitende Funktion und übermittelte Anweisungen und bundeswehrinterne Lageberichte.

Am 28. August 2017 kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu Razzien an sechs Orten, bei denen ein Waffenarsenal und Ordner mit Listen von politischen Gegner*innen sichergestellt wurden. Als Beschuldigte gelten der Anwalt und Rechtspopulist Jan-Hendrik H. aus Rostock sowie der (mittlerweile ehemalige) Kriminalkommissar Haik J. aus Grabow. Razzien gab es auch bei vier weiteren Personen, die nicht als Beschuldigte gelten. Dies sind der Malermeister Axel M. und Horst S., der Kommandeur der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie (RSU-Kompanie), einer freiwilligen Reservisten-Einheit für Heimatschutzangelegenheiten der Bundeswehr. (28) Außerdem durchsucht wurden die Wohnungen des Versicherungsvertreters Jörg S. und des LKA-Polizisten Marko G., der auch zeitweilig beim Spezialeinsatzkommando (SEK) tätig war. Marko G. War zudem Administrator des Chats Nordkreuz. (29) Alle sechs Personen eint, dass sie Mitglieder der etwa 30 Personen umfassenden Gruppe Nordkreuz waren. Fünf der sechs Personen waren beim Reservistenverband aktiv.

Vorbereitung für den Tag X

Darüber hinaus sind alle Mitglieder der Chatgruppe Nordkreuz der Prepper-Szene zuzuordnen. Sie bereiten sich auf eine schwere Krise oder einen Katastrophenfall vor. Dies könnte z.B. ein Krieg, eine Naturkatastrophe, ein langer Stromausfall oder ein Börsencrash sein. Aber auch das Thema Migration scheint den Nordkreuz-Preppern Sorgen zu bereiten. Was Teile der Nordkreuz-Gruppe von anderen Preppern unterscheidet, ist, dass in diesem Fall der Krisenfall als Chance begriffen wurde, um eigene politische Vorstellungen umzusetzen und deshalb Waffen gehortet wurden. Man gewinnt den Eindruck, dass manche den Krisenfall geradezu herbeisehnten. Es gab konkrete Pläne, linke Politiker*innen und Einzelpersonen an einem sogenannten Tag X gefangen zu nehmen, an ausgewählte Orte zu bringen und sie dort zu ermorden. Es gab sogar Überlegungen, über den Kommandeur der RSU-Kompanie, Horst S., an Uniformen und Fahrzeuge der Bundeswehr zu gelangen, um am Tag X polizeiliche oder militärische Checkpoints leichter passieren zu können. Diese Pläne sollten keinesfalls als bloße Spinnerei abgetan werden: Viele der Chatmitglieder sind Polizisten, Reservisten, Jäger oder Sportschützen und somit im Besitz von Waffen, mit denen sie auch umgehen können. Der Polizist Marko G. erklärt im Interview mit Panorama, (30) es habe auch gemeinsame Schießübungen gegeben.

Köpfe der Prepper-Zelle: Jan-Hendrik H.

Führende Köpfe innerhalb der Zelle in Mecklenburg-Vorpommern sind Jan-Hendrik H. und Haik J.: Jan-Hendrik H. ist ein Rechtsanwalt aus Rostock, der sich in den vergangenen fünf Jahren erheblich radikalisierte. Im Mai 2014 wurde er über die Liste der FDP in die Rostocker Bürgerschaft gewählt. Auch auf Bestreben von Jan-Hendrik H. schlossen sich die FDP und die rechtspopulistische Liste Unabhängige Bürger für Rostock (UFR) zu einer Fraktion zusammen. Ab Januar 2015 begann Jan-Hendrik H., sich immer wieder rassistisch zu äußern. Er bezeichnete sich als „Sympathisant der […] Pegida-Forderungen“. (31) Zur selben Zeit wurde seine inhaltliche Nähe zur AfD und der sogenannten Identitären „Bewegung“ (IB) sichtbar. Insbesondere zum AfD-Rechtsaußen Holger Arppe und zu Daniel Fiß, der mittlerweile Bundesvorsitzender der IB Deutschland ist, pflegte Jan-Hendrik H. engen Kontakt. Jan-Hendrik H. setzte sich ab 2015 auch intensiv gegen die Entstehung eines linksalternativen Wagenplatzes in seinem Stadtteil ein. 2016 distanzierte sich die FDP von Jan-Hendrik H. und beendete die Zusammenarbeit mit UFR, woraufhin Jan-Hendrik H. die FDP verließ. (32) 2017 wurden Chatprotokolle von Holger Arppe, seinem politischen Freund aus der AfD, geleakt. Mehrere Aussagen zu Jan-Hendrik H., die Arppe tätigte, sind in diesem Zusammenhang interessant. So schrieb Arppe über ihn: „Der Typ würde perfekt in unsere Reihen passen. Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrücktspielen, bin ich vorbereitet.“ Politisch ordnet er ihn folgendermaßen ein: „Ich würde sagen, er ist ziemlich rechtskonservativ. Aber auch schon sehr pessimistisch. Er glaubt, dass es fast schon zu spät ist, da der Organisationsvorsprung der Linken kaum noch aufzuholen ist. Und wenn jetzt auch noch die AfD scheitert, dann ist es eben gut, wenn man einen Schrank voller Gewehre und ’ne Munitionskiste in der Garage hat.“ Außerdem habe Jan-Hendrik H. Gesagt: „Manche Leute in der Bürgerschaft kann ich mir nur mit einem Loch im Kopf vorstellen, sonst ertrage ich diese linken Schweine nicht.“ (33) Tatsächlich hat H. einen prall gefüllten Waffenschrank. Als Sportschütze und Jäger hat er ohnehin leicht Zugang zu Waffen.

Zudem sympathisiert er offen mit der rechten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Er ärgerte sich einer Recherche des Focus zufolge „maßlos über ein Denkmal für die Opfer des [NSU]“. (34) Doch dabei blieb es nicht: Mehrere Zeug*innen erklärten, Jan-Hendrik H. habe ein Wettschießen veranstaltet und den Wanderpokal für die Sieger*innen nach Mehmet Turgut, der am 25. Februar 2004 in Rostock vom NSU erschossen wurde, benannt. (35) Als seine Wohnung am 28. August 2017 durchsucht wurde, wurden neben den Waffen auch Ordner mit 5000 Namen und Steckbriefen von Personen aus dem linken Spektrum gefunden. Jan-Hendrik H. gab an, diese als Ansprechpartner*innen für seine Tätigkeit im Asylausschuss zu benötigen, dem H. allerdings nie angehörte. (36) Gegenüber Focus erklärte er, es habe sich bei den Ordnern um anwaltliche Schriftsätze gegen die Ansiedlung der linksalternativen Wagenburg gehandelt. (37) Beides ist wenig glaubwürdig. Am 7. September 2017 erklärte das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern jedoch, die gefundenen Listen seien keine Todeslisten, sondern eine „Sammlung von Ordnern“. (38) Wofür Jan-Hendrik H. Die Listen jedoch anfertigte, bleibt offen. Die Ermittlungen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gegen ihn laufen nach wie vor.

Köpfe der Prepper-Zelle: Haik J.

Der andere Beschuldigte im Verfahren um Nordkreuz ist Haik J., ist AfD-Mitglied und ehemaliger Polizist aus Grabow. Der ehemalige Oberkommissar war früher beim Polizeikommissariat 42 in Hamburg-Billstedt tätig, wechselte dann aber nach Mecklenburg-Vorpommern. Er soll an den Mordphantasien und Planungen für den Tag X beteiligt gewesen sein und wurde daraufhin vom Dienst suspendiert. Die Ermittlungen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gegen ihn laufen nach wie vor. Der Terrorverdächtige wurde Anfang 2018 zum stellvertretenden Vorsitzenden des AfD-internen Arbeitskreises für Innere Sicherheit gewählt. (39)

Weitere Durchsuchungen

Im April 2018 durchsuchte die Polizei im Auftrag der Bundesanwaltschaft erneut zwölf Objekte, von sieben Personen aus dem Umfeld von Nordkreuz. Auch die Wohnung des AfD-Politikers Holger Arppe wurde durchsucht. Er gilt jedoch nur als Zeuge in dem Verfahren. (40) Ob die zweite Durchsuchungswelle der Polizei neue Erkenntnisse brachte ist nicht bekannt. Im Juni 2019 kam es zudem zu Durchsuchungen bei drei ehemaligen und einem aktiven SEK-Polizisten der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern. Ihnen wird vorgeworfen, heimlich Munition entwendet zu haben.

Fußnoten:

(28) Vgl. IMI-Studie 2013/08a. Martin Kirsch: Der neue Heimatschutz der Bundeswehr. Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte und das Kommando Territoriale Aufgaben als neue Instrumente für den Inlandseinsatz.

(29) Panorama vom 07.09.2017: Bundesanwalt ermittelt: Polizist als Staatsgefährder?; Taz: Terror-Ermittlungen in Norddeutschland. Kommando Heimatschutz. 20.12. 2017.

(30 Panorama vom 07.09.2017: Bundesanwalt ermittelt: Polizist als Staatsgefährder?

(31) Sybille Bachmann: Chronologie Causa RA Hammer. 2017.

(32 Ebd.

(33) Ebd.

(34) Focus: Die Verschwörung. 17.11. 2018.

(35) Ebd.

(36) Sybille Bachmann: Chronologie Causa RA Hammer. 2017.

(37) Focus: Die Verschwörung. 17.11. 2018.

(38) Sybille Bachmann: Chronologie Causa RA Hammer. 2017.

(39) StopAfD: Terrorverdächtiges AfD-Mitglied ist in den Arbeitskreis für Innere Sicherheit gewählt worden. 1.2. 2018.

(40) Taz: Rechtsextreme Szene in MeckPomm. Wieder Razzia wegen „Preppern“. 25.4.2018.