Humanitäre Krise in Griechenland: Und die Europäische Union schaut zu

Die Szenen, die sich an der griechisch-türkischen Grenzen abspielen, sind an barbarischer Unmenschlichkeit nur schwer zu überbieten: Geflüchtete, die an von der Türkei nach Griechenland gelangen wollen, werden verprügelt und beschossen. Wieder einmal werden Flüchtlinge zum Spielball internationaler Machtpolitik – und wieder einmal ist von den viel gelobten humanistischen Werte der Europäischen Union nichts zu spüren.

Von Franziska Wilke und Marko Neumann

Die Türkei hindert seit dem Wochenende Geflüchtete nicht mehr daran, von ihrem Territorium aus in die EU zu gelangen. Den Schritt begründete Ankara damit, dass sich die EU nicht an ihre Verpflichtungen aus dem 2016 mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingspakt halte. [1]

Nach der Grenzöffnung kam es zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen der griechischen Polizei und Flüchtlingen an der Grenze. Griechenland versucht nun alles, um seine Grenzen abzuriegeln und setzt auch das EU-Asylrecht außer Kraft. „Unser nationaler Sicherheitsrat hat beschlossen, die Abschreckung an unseren Grenzen maximal zu erhöhen. Ab sofort werden wir für einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr annehmen“, verkündete am späten Sonntagabend Premierminister Kyriakos Mitsotakis. [2]

Einheiten der griechischen Armee sollen auf den Inseln im Osten der Ägäis mit umfangreichen Schießübungen beginnen, wie das griechische Staatsfernsehen unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Athen berichtete. [3]

Die Flüchtlingslager auf den Inseln, auch Hotspots genannt, sind seit Jahren überfüllt. Allein auf Lesbos leben im Camp Moria rund 20.000 Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen. Auf Samos, Leros, Chios, Kos und Lesbos sind es zusammen mehr als 40.000. Auch an der türkisch-griechischen Landgrenze harren Tausende Migranten und Flüchtlinge aus. Die griechischen Behörden haben den Grenzübergang Kastanies geschlossen und setzen Tränengas ein. Die Regierung hat angekündigt, Migranten zurück in ihre Herkunftsländer zu schicken, falls sie die Grenze illegal übertreten. [4]

Laut UN harren rund 13 000 Menschen bei Kälte auf der türkischen Grenzseite zu Griechenland aus. Unter ihnen sollen auch viele Kinder sein. Frontex setzte die Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei auf „hoch“. [5]

Besonders brisant ist die Situation derzeit auf der griechischen Insel Lesbos. Trotz der rabiaten Methoden der Grenzschützer kommen seit einigen Tagen immer mehr Geflüchtete an der Insel an. Hier heizt sich die Stimmung immer weiter auf.  Griechische Rassist*innen und Rechtsextreme blockieren mit Ketten und Steinen die Zufahrtswege zum Flüchtlingslager „Moria“. Sie versuchen die Geflüchteten am Anlegen mit ihren Schlauchbooten zu hindern. Auch dann, wenn auf den Booten Kinder sind. Videos zeigen, wie sie den Menschen auf den Booten zurufen: „Geht zurück in die Türkei. Haut ab! Ihr seid nicht willkommen.“ [6]

PRO ASYL und seine griechische Projektpartner*innen Refugee Support Aegean (RSA) sehen eine Mitverantwortung Deutschlands für die katastrophale Situation auf den griechischen Ägäis-Inseln und fordern die Aufnahme Geflüchteter nach Deutschland. [7]

Seit 2018 lehnt das BAMF Dublin-Übernahmeersuche aus Griechenland massiv ab. Knapp 1.700 solcher Ersuche aus Griechenland standen 2019 fast 1.400 Ablehnungen des BAMF gegenüber. Ein ähnliches Bild in 2018: Von 2.139 Übernahmeersuchen an Deutschland – 90% davon aufgrund familiärer Bindungen – wurden rund 1.500 abgelehnt. Dies waren also fast 3.000 Ablehnungen in zwei Jahren. [8]

Als Beatrix von Storch 2016 forderte, an den Grenzen zur Not Waffengewalt auch gegen Kinder einzusetzen, um Deutschland vor Geflüchteten zu sichern, war der Aufschrei groß. Zahlreiche Medien berichteten damals zu Recht von diesem Tabubruch. Und momentan? Einen Aufschrei und massive Empörung wie noch 2016 sieht man in großem Stil bisher noch nicht. [9]

Die Bilder aus Griechenland wirken wie von einem Kriegsschauplatz. Dabei handelt es sich hier um einen Krieg zwischen Europa und unbewaffneten Menschen, die nichts weiter wollen als einfach nur zu leben. [10]

Fußnoten:

[1] https://www.watson.de/international/gefl%C3%BCchtete/814903877-griechenland-will-fuer-einen-monat-keine-asylantraege-mehr-annehmen

[2] https://www.focus.de/politik/ausland/ankara-laesst-fluechtlinge-nach-griechenland-griechen-kaempfen-gegen-fluechtlinge-die-situation-auf-den-inseln-ist-explosiv_id_11723064.html

[3] https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/aegaeische-inseln-lesbos-schiessuebungen-fluechtlinge

[4] https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-kind-vor-der-insel-lesbos-ertrunken-a-0c808c0b-bb53-4911-9763-3fc897c285ba

[5] https://www.sueddeutsche.de/politik/frontex-griechenland-fluechtlinge-tuerkei-grenze-migration-1.4827629

[6] https://www.belltower.news/humanitaerer-notstand-in-griechenland-droht-ein-pogrom-an-gefluechteten-96551/

[7] https://www.proasyl.de/news/humanitaere-krise-in-griechenland-fluechtlingsaufnahme-jetzt/

[8] https://www.proasyl.de/news/humanitaere-krise-in-griechenland-fluechtlingsaufnahme-jetzt/

[9] https://www.belltower.news/humanitaerer-notstand-in-griechenland-droht-ein-pogrom-an-gefluechteten-96551/

[10] https://www.belltower.news/humanitaerer-notstand-in-griechenland-droht-ein-pogrom-an-gefluechteten-96551/