Machtkampf in Hannover: AfD rückt weiter nach rechts

Auch wenn sich die Spitzenpolitiker*innen der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ (AfD) nach außen um Einigkeit bemühen, ist auf dem Bundesparteitag in Hannover eines deutlich geworden: Die Partei ist so zerrissen, wie noch nie. Der „Flügel“ drängt die AfD langsam aber stetig nach rechts.

Von Franziska Wilke und Julian Feller

Am Ende machte Alexander Gauland es doch. Das, worum ihn Parteichef Jörg Meuthen und der völkisch-nationalistische Flügel um Björn Höcke, freilich mit unterschiedlicher Motivation, gebeten hatte – und worüber so viel im Vorfeld des Bundesparteitags der Rechtspopulisten spekuliert worden war. Gauland, 76 Jahre alt und bereits Fraktionschef der AfD im Bundestag, ließ sich am Samstagabend in Hannover zum Co-Parteichef von Meuthen wählen. Und verschiebt damit die Führungsspitze der AfD weiter nach rechts. Davor aber lieferte sich die Partei einen Wahlkrimi, der es in sich hatte. [1]

Überraschungskandidaten, Geklüngel und die Unterlegenheit der „Gemäßigten“

Zwischenzeitlich standen die schleswig-holsteinische AfD-Landessprecherin Doris von Sayn-Wittgenstein und der Berliner Landeschef Georg Pazderski zur Wahl. [2]

Gauland steht für Offenheit nach rechts und gilt als Protegé des rechten „Flügels“, wie sich der erzkonservative Kreis um den Thüringer Landeschef Björn Höcke und Sachsen-Anhalts Fraktionsführer André Poggenburg nennt. Gauland als Parteivorsitzender neben Meuthen war die Wunschvorstellung der beiden. Die Berichte über die mögliche Kandidatur lösten im vorhinein Glücksgefühle aus. Ganz im Gegensatz zu der Nachricht, dass auch der Berliner Landeschef Georg Pazderski kandidieren werde. [3]

In der Pause wird hinter der Bühne verhandelt und gezerrt, am Ende ziehen Sayn-Wittgenstein und Pazderski zurück und kandidieren als Vizes. Und Gauland tritt an. Der alte, mächtige Mann der AfD wird am Abend mit knapp 68 Prozent gewählt. Das ist noch weniger, als Meuthen bekommen hat. „Der Flügel hat mit dem heutigen Tag die Spitze des Bundesvorstands übernommen“, schreibt die „Alternative Mitte“ in ihrem Liveticker vom Parteitag. [4]

Fast 50 Prozent der Parteitagsdelegierten stimmten für eine weithin unbekannte Überraschungskandidatin von Rechtsaußen, die Höckes Flügel vor allem mit einem Ziel ins Rennen schickte: Sie sollte verhindern, dass der in der AfD als liberal-konservativ geltende Berliner Landeschef Georg Pazderski zu Meuthens Co-Vorsitzendem gewählt wird – oder ihm zumindest einen möglichst schwachen Sieg bescheren. Pazderski hat mit Ex-Parteichefin Frauke Petry zusammengearbeitet und war bei der Nato, er will die AfD in die Regierung führen und sich dafür auch vom rechten Rand abgrenzen. Und, was der Flügel gar nicht mag: Pazderski hat das Parteiausschlussverfahren gegen Rechtsaußen Höcke unterstützt. Kurz: Für Höckes Flügel gehört Pazderski schon fast zu den „Altparteien“ – und auf keinen Fall an die Spitze der AfD. [5]

Klar ist jetzt: Die Partei ist in zwei Hälften gespalten. Eine Mehrheit gibt es nicht. Und der Flügel ist weit einflussreicher, als bislang gedacht. Auf dem Parteitag bricht Chaos aus. Schließlich ergreift Gauland das Mikrofon und beantragt eine Unterbrechung. Dass sei eine „gefährliche Situation“ für die Partei gewesen, wird er später sagen. Was er damit genau meint, sagt er nicht. [6]

Die frühere Parteivorsitzende Frauke Petry war kurz nach der Bundestagswahl zurückgetreten und betreibt nun den Aufbau einer neugegründeten konservativen Bewegung namens Die blaue Partei. Seitdem hatte Jörg Meuthen die Partei alleine geleitet. Er sitzt nicht im Bundestag, sondern im Stuttgarter Landtag und im Europaparlament. Dass er sein doppeltes Mandat erst zum Jahresende aufgeben will, rief parteiinterne Kritik hervor. Meuthen war 2015 im zweiten Wahlgang gegen vier Mitbewerber mit 62 Prozent der Stimmen gewählt worden. [7]

Polizei schikaniert Proteste gegen Bundesparteitag

Mehrere Tausend Menschen haben am Samstag in Hannover gegen die AfD und deren Bundesparteitag protestiert. Mit Straßenblockaden versuchten Hunderte Demonstranten am Morgen, die Anreise der AfD-Politiker in das hannoversche Congress Centrum zu stören. Der Parteitag begann daher etwa einer Stunde später als geplant. Das Treffen wurde mit einem massiven Polizeieinsatz gesichert. [8]

Die Holocaust-Überlebende Marianne Wilke rief bei einer Kundgebung gegen die AfD zur Solidarität mit Opfern von Rassismus in allen Ländern aufgerufen. »Und vor der eigenen Haustür müssen wir solidarisch sein mit allen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten«, sagte die 88-Jährige am Samstag vor dem Congress Centrum. [9]

Bei der Großdemonstration am Samstagnachmittag wurde der Block, der Initiative »Nationalismus ist keine Alternative« von einem dreireihigen Polizeispalier begleitet. Auch als sich die ganze Demonstration mit über 5000 Teilnehmern gegen diese Maßnahme stellte, reagierte die Polizei nicht und zog ihre Linie durch. Die Antifaschisten waren in Hannover offenbar die Staatsfeinde, nicht die völkischen Nationalisten. [10]

Im Einsatz gegen die Straßenblockaden hatten Einsatzkräfte am Morgen Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt, wie ein Sprecher der Polizei dem epd sagte. Absperrgitter und NATO-Stacheldraht sollten mögliche Angriffe verhindern. Sowohl aufseiten der Demonstrierenden wie auch unter den Beamten habe es Verletzte gegeben, hieß es. Mehrere Protestierende seien in Gewahrsam genommen worden. [11]

Fußnoten:

[1] http://taz.de/Bundesparteitag-der-AfD-in-Hannover/!5467245/

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/afd-parteitag-in-hannover-afd-waehlt-gauland-zum-co-parteichef-1.3775699

[3] https://www.n-tv.de/politik/Der-Fluegel-bekommt-was-er-will-article20163928.html

[4] http://taz.de/Bundesparteitag-der-AfD-in-Hannover/!5467245/

[5] http://taz.de/Kommentar-Neue-Parteichefs-der-AfD/!5467235/

[6] http://taz.de/Bundesparteitag-der-AfD-in-Hannover/!5467245/

[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/afd-parteitag-in-hannover-afd-waehlt-gauland-zum-co-parteichef-1.3775699

[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1072075.afd-parteitag-in-hannover-tausende-blockierten-afd-parteitag.html

[9] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1072075.afd-parteitag-in-hannover-tausende-blockierten-afd-parteitag.html

[10] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1072076.protest-gegen-den-afd-parteitag-wasserwerfer-am-gefrierpunkt.html

[11] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1072075.afd-parteitag-in-hannover-tausende-blockierten-afd-parteitag.html