Sturm auf das Kapitol: „Die Demokratie hat den Kampf gegen den Kapitalismus lange verloren“

Der rechtsextreme Überfall auf das Kapitol in Washington DC (USA) kam wenig überraschend – er war vielmehr die logische Folge der jahrelangen Hetze rassistischer und anderer rechtsextremer Akteure in den USA. Ein Kommentar.

Von Franziska Wilke und Marko Neumann

Was am 7. Januar im Kapitol in Washington passiert ist, war ein ziemlich verzweifelter Versuch, den liberalen Verfassungsstaat auszuhebeln. Dass dieser Versuch gescheitert ist, spiegelt die gegenwärtige Phase der Entwicklung des dortigen Faschismus wider: Er ist in einem aufkeimenden, unausgegorenen, einem unfertigen Zustand. [1]

In den USA hat die Demokratie den Kampf gegen den Kapitalismus schon lange verloren, genau genommen von Anfang an, nun mehr und mehr auch den gegen Rechtsradikale und Nationalisten, gegen die gewalttätige antirepublikanische Anmaßung und den Zerstörungswillen eines Präsidenten, der wie kein anderer die Verfassung zu schützen hätte und sie wie kein anderer demontiert. Washington am 6. Januar 2021 war nur ein höchst signifikanter Exzess, dem andere vorausgingen und weitere folgen werden. [2]

Zum Zeitpunkt des lange angekündigten Aufmarsches der Trumpanhänger*innen waren 115 Wachleute im Dienst, 225 weitere in Bereitschaft. Die Nationalgarde wurde erst eingesetzt, nachdem das Kapitol bereits gestürmt worden war. Insgesamt wurden 52 Menschen inhaftiert, viele ließ die Polizei einfach so gehen, manchen half sie beim Hinablaufen der Treppe. [3]

Es ist unklar, warum – trotz der Kenntnisse über die Pläne von Trumps Anhänger*innen – kein größeres Aufgebot an Sicherheitskräften vor dem Kapitol-Gebäude wachte. Im Sommer parkten die Nationalgarden mehrerer Bundstaaten gepanzerte Fahrzeuge in Washingtons Straßen und standen in Ganzkörperbewaffnungsmontur in Reih und Glied auf den Stufen des Lincoln Memorials – all das im Vorfeld einer Demonstration, die die Einhaltung der Gesetze und ein Ende der Straflosigkeit im Fall von Polizeimorden an Afro-Amerikaner*innen forderte. [4]

Längst sind in Deutschland und Europa ähnliche antidemokratische, rassistische, antisemitische und antifeministische Tendenzen zu beobachten. Besonders offensichtlich wurden diese Tendenzen im Laufe des vergangenen Sommers, als die Querdenken-Bewegung sich radikalisierte. Dort waren Anhänger der verschwörungsmythischen QAnon-Bewegung vertreten, genauso wie nun bei der Stürmung des US-Kapitols. Verbreitet wurden deren Ideologien zuvor vom abgewählten Präsidenten Trump. In Deutschland gibt es Verbindungen zu den Reichsbürgern. Diese waren im August am Rande einer Querdenken-Demo mit Reichsflaggen auf die Treppen des Reichstagsgebäudes vorgedrungen. Vor diesem Hintergrund forderte die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstag, nun Schlüsse für den Schutz des Bundestages zu ziehen. »Die Unversehrtheit des Bundestages muss gegen alle Angriffe verteidigt werden, auch das lehren uns die Bilder aus Amerika«, so die Verteidigungsministerin und griff damit die Diskussion um eine verschärfte Bannmeile wieder auf. [5]

Während der randalierende Mob das Kapitol in Washington stürmte, feierten Neonazis im Internet die Aktion als Anfang vom Ende der Vereinigten Staaten. Sie sehen in dem Ereignis den Beginn eines „Zweiten Bürgerkriegs“. „Das ist ein Moment, auf den man schon sehr lange gewartet hat, sehr lange …“ heißt es in einem Post, der rund 600-mal über Telegram verbreitet wurde. Ähnlich wie in Deutschland ist der verschlüsselte Messenger auch in den USA bei Neonazis und Verschwörungstheoretikern beliebt. „Heute ist besser als Weihnachten“, hieß es in einem anderen Post. [6]

Laut US-Justizministerium sichten Hunderte Mitarbeiter nun soziale Medien, um potenzielle Straftäter zu identifizieren. Staatsanwalt Mike Sherwin sprach von 55 Fällen, in denen Strafanzeige gestellt wurde. Und der nächste Test für die Sicherheitskräfte in der US-Hauptstadt steht schon bevor. Am 20. Januar soll Joe Biden als 46. US-Präsident vereidigt werden. [7]

Fußnoten:

[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-buergerbraeuputsch-experience

[2] https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/sich-selbst-zu-viel

[3] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146718.kapitol-wo-war-die-polizei.html

[4] https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/schwarz-weisse-unterschiede

[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146717.sturm-auf-das-kapitol-der-brandsatz-im-parlament.html

[6] https://www.vice.com/de/article/k7ankz/usa-wie-nazis-den-sturm-auf-das-kapitol-als-auftakt-zum-burgerkrieg-feiern

[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-washington-kapitol-polizei-kritik-1.5169079