Trotz „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“: NPD wird nicht verboten

Längst nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Die NPD mag schwach wirken, gefährlich ist sie dennoch nach wie vor.

 

Die neofaschistische NPD wird nicht verboten, das entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Und das obwohl die menschenverachtende Ideologie der Partei offenkundig ist. Der Grund für das Nicht-Verbot: die NPD sei zu unbedeutend. Eine Begründung, die nicht befriedigen kann und dem bundesdeutschen historischen Erbe nicht gerecht wird.

Von Franziska Wilke, Julian Feller und Marko Neumann

Der Bundesrat ist mit seinem Versuch gescheitert, die rechtsextreme NPD verbieten zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht wies den Antrag der Länderkammer ab. Die NPD sei zwar verfassungsfeindlich gesinnt und wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus, sie habe aber nicht das Potenzial, die Demokratie in Deutschland zu beseitigen, begründete das Gericht in knapp 300 Seiten sein Urteil (Az. 2 BvB 1/13) .[1]

Ein gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung reiche für die Anordnung eines Parteiverbots nicht aus. „Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- und Weltanschauungsverbot“, sagte Voßkuhle. [2]

„Es steht außer Zweifel, dass die Antragsgegnerin nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt“, sagte Gerichtspräsident Voßkuhle. Sie strebe eine ethnisch definierte „Volksgemeinschaft“ an, ihre Politik „missachtet die Menschenwürde aller“. Sie ist, so Voßkuhle, „mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“. [3]

Die Bundesländer hatten das NPD-Verbot 2013 beantragt, eine ganze Riege an Innenministern verfolgte das Urteil im Gerichtssaal. Für sie ist es eine herbe Schlappe. Denn die sieben Verfassungsrichter hatten keinen Zweifel: Sie fällten ihr Urteil einstimmig. Kein einziger Richter sah die Möglichkeit eines Verbots. [4]

Vor 13 Jahren war ein erster Versuch gescheitert, die rechtsextremistische NPD zu verbieten. Die Karlsruher Richter hatten vor jeder Befassung moniert, dass die Führungsebenen mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt waren. Man hätte also den Einfluss des Staates auf die Politik der Partei nicht bewerten können. [5]

Stimmen zum NPD-(Nicht) Verbot

Nach Überzeugung des Geschäftsführers der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank, zeigt das Scheitern des Verbotsverfahrens auch auf, dass eine Strategie im Umgang mit Rechtsextremismus fehle. „Immer wieder haben wir seit dem Beginn des NPD-Verbotsverfahrens 2012 deutlich gemacht, dass mit Verboten den wachsenden Herausforderungen für die Demokratie nicht beizukommen ist“, fügte er hinzu. [6]

Cornelia Kerth, Bundessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) erklärt: „An allen Gedenktagen an die Opfer des NS-Regimes, so sicher auch am bevorstehenden 27. Januar, werden von den politisch Verantwortlichen in Deutschland Reden gehalten in denen man die Verbrechen des deutschen Faschismus benennt und ein „Nie wieder!“ verspricht. Aber wenn es darauf ankommt, die Konsequenzen aus den Millionen Opfern dieses verbrecherischen Regimes zu ziehen und zwar die allereinfachste und naheliegendste, nämlich dass die dafür verantwortlichen politischen Kräfte nie Gelegenheit erhalten dürfen einen erneuten Anlauf zur Errichtung eines ähnlichen menschenfeindlichen Regimes zu errichten, wird versagt.“ [7]

Das Internationale Auschwitz Komitee kritisierte das Urteil mit scharfen Worten. Vizepräsident Christoph Heubner sprach von einem „tragischen Tag für die wehrhafte Demokratie“. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei für die Überlebenden des Holocaust „eine empörende und erschreckend realitätsferne Entscheidung“. Das Urteil sende auch ein „fatales Signal nach Europa, wo Rechtsextreme und Rechtspopulisten längst neue Schnittmengen miteinander finden und ständig versuchen, Angst und Unsicherheit von Menschen in Hass und Aggression zu verwandeln“.[8]

„Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass wir es mit der NPD ohne Zweifel mit einer verfassungsfeindlichen Partei zu tun haben, die die wichtigste bundesweite Organisation der extremen Rechten ist.“ erklärte Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Partei DIE LINKE. [9]

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte indes vor falschen Schlussfolgerungen aus dem Urteil. Der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow sagte am Dienstag in Berlin, die Karlsruher Richter hätten lediglich bestätigt, welch hohe Hürden das Grundgesetz einem Parteienverbot entgegenstelle. Wer anführe, dass die NPD im politischen Leben kaum noch eine Rolle spiele, der irre. 338 kommunale Mandate habe die NPD inne, besonders im Osten Deutschlands. Allein in Sachsen verfüge sie über 80 Mandate. Malchow unterstrich: „Wir werden weiter mit sehr viel Personal NPD-Veranstaltungen und -Demonstrationen schützen müssen. Das hätten wir uns gerne erspart.“ [10]

NPD-Bundeschef Frank Franz hatte sich schon kurz vor dem Urteil siegesgewiss gezeigt. „Wir werden definitiv nicht verboten“, sagte er. Nun werde man „wieder durchstarten“. [11]

Nach Ansicht der Rostocker Politologin Gudrun Heinrich geht die rechtsextreme Szene in Mecklenburg-Vorpommern gestärkt aus dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren hervor: „Die NPD spielt hierzulande eine ganz zentrale Rolle. Die enge Vernetzung mit den Kameradschaften und insgesamt mit der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern war immer ein Erfolgsrezept der NPD.“ [12]

Von oben verordnete „politische Auseinandersetzung“ mit der NPD

Die Demokratie müsse die NPD aushalten, der Rechtsstaat die Entscheidung tragen – so wurde in der Debatte um das Verbot staatstragend demokratietheoretisch kommentiert. Das klingt souverän, doch wer schlägt sich mit der Partei in der politischen Auseinandersetzung vor Ort herum und tritt ihren Mitgliedern offensiv im Alltag entgegen? Die Kommentatoren in Medien und Politikwissenschaft? [13]

Ihre Lebenswelten sind meist kaum von rechtsextremem Hass und Hetze beeinflusst. Virtuelle Anfeindungen kann man nicht mit direkten Auseinandersetzungen gleichsetzen. Die Kommentatoren müssen sich nicht im Kindergarten gegen eine Erzieherin mit privaten Verbindungen zur NPD auseinandersetzen, bevor diese gehen muss. Sie brauchen nicht die Öffentlichkeit zu suchen, um eine Lehrerin mit Parteibuch zu stoppen, die einzelne Schüler für die NPD-Jugendorganisation anwirbt. [14]

Den Widerspruch zwischen der legalen Partei und den tatsächlichen Positionen ihrer Mitglieder und Untestützer ertragen andere – jene Engagierte in den Gemeinden, den Kommunalparlamenten und auf den Straßen. Das Scheitern des Verbotes erschwert die Auseinandersetzung auf lokaler Ebene. Die NPD kann nun stets auf die richterliche Entscheidung verweisen. [15]

Die alte neue Gefahr von Rechts

Dass der Grund, den die Richter gegen das Verbot der NPD anführen, ihre schiere Bedeutungslosigkeit ist, tröstet nur wenig über die derzeitige Lage hinweg. Einerseits sind die Partei, ihr zu grotesk abstoßender Folklore verkommenes Nazitum und von ihr finanzierte Kampagnen wie „Nein zum Heim“ weiterhin zu ertragen. Andererseits geht ihr Bedeutungsverlust mit dem Aufstieg anderer Rechter einher. Hetze gegen Fremde, rassistisch-völkisches Gerede und Schwärmen von autoritären Regierungsformen ist so weit in der Mitte des Diskurses angekommen, dass es die allzu gestrige NPD nicht mehr braucht. Als sei sie die Keimzelle, in der nazistisches Gedankengut die Jahrzehnte überdauert hat, wird sie nun vom frisch geschlüpften autoritären Charakter in Form von AfD, Pegida und Co. abgeworfen. Für Antifaschisten bleibt viel zu tun. [16]

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-01/bundesverfassungsgericht-lehnt-npd-verbot-ab

[2] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1038700.karlsruhe-antrag-auf-npd-verbot-gescheitert.html

[3] https://www.taz.de/NPD-Verbot-wurde-abgelehnt/!5374522/

[4] https://www.taz.de/NPD-Verbot-wurde-abgelehnt/!5374522/

[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1038700.karlsruhe-antrag-auf-npd-verbot-gescheitert.html

[6] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1038814.butterwegge-befuerchtet-radikalisierung-der-npd.html

[7] http://vvn-bda.de/versagt-vor-der-geschichte-zum-npd-verbotsurteil/

[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1038814.butterwegge-befuerchtet-radikalisierung-der-npd.html

[9] https://www.die-linke.de/nc/presse/presseerklaerungen/detail/zurueck/presseerklaerungen/artikel/freispruch-wegen-bedeutungslosigkeit-fuer-die-npd/

[10] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1038814.butterwegge-befuerchtet-radikalisierung-der-npd.html

[11] https://www.taz.de/NPD-Verbot-wurde-abgelehnt/!5374522/

[12] http://www.ndr.de/nachrichten/Geteilte-Reaktionen-auf-gescheitertes-NPD-Verbot,npdverbot214.html

[13] https://www.taz.de/Kommentar-Scheitern-des-NPD-Verbots/!5374511/

[14 https://www.taz.de/Kommentar-Scheitern-des-NPD-Verbots/!5374511/

[15] https://www.taz.de/Kommentar-Scheitern-des-NPD-Verbots/!5374511/

[16] https://www.freitag.de/autoren/lfb/ungefaehrlich-aber-unertraeglich