Zehn Jahre Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“: Und noch immer mehr Fragen als Antworten

Vor zehn Jahren enttarnte sich der rechtsterroristische NSU selbst. Der Prozess um Beate Zschäpe und verschiedene Untersuchungsausschüsse auf Landes- und Bundesebene haben viele Einblicke in das rechtsextreme Netzwerk geliefert. Und doch bleiben bis heute viele Fragen offen. Die Aufklärung der rechtsextremen Terrorserie ist längst nicht abgeschlossen.

Von Janin Krude und Franziska Wilke

Zehn Jahre sind seit der Selbstenttarnung der rechten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) vergangen. Am 4. November 2011 fanden Ermittler in einem ausgebrannten Wohnmobil bei Eisenach die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Am selben Tag brannte in Zwickau in der Frühlingsstraße die Wohnung aus, in der die beiden Rechtsterroristen zuvor mit ihrer Komplizin Beate Zschäpe jahrelang gelebt hatten. Das 1998 in den Untergrund abgetauchte Trio aus Jena hatte zwischen den Jahren 2000 und 2007 neun in Deutschland lebende Migranten und eine deutsche Polizistin erschossen sowie mehr als ein Dutzend Banküberfälle begangen. Die heute 46 Jahre alte Zschäpe, die sich am 8. November 2011 in Jena der Polizei gestellt hatte, ist inzwischen rechtskräftig zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. [1]

Als Chronik einer verpassten Chance bezeichnete Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler den 2018 in München zu Ende gegangenen NSU-Prozess gegen Zschäpe und drei Mitangeklagte. Fragen zu möglichen Mittätern, Unterstützern und Helfershelfern sowie zur Rolle der Verfassungsschutzämter seien unbeantwortet geblieben, wesentliche Komplexe nicht durchleuchtet worden. Insbesondere die von der Bundesanwaltschaft mit Vehemenz vertretene und im Urteil bestätigte These, wonach es lediglich drei NSU-Mitglieder gegeben habe, stellten alle Diskutanten in Frage. [2]

Michael Noetzel, Mitglied des ersten NSU-Untersuchungsausschusses in Mecklenburg-Vorpommern konstatiert: „Wir sind nach zehn Jahren noch lange nicht am Ende der Aufklärung. Auch in Mecklenburg-Vorpommern liegt noch vieles im Dunkeln. Der erste NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag konnte auf zahlreiche drängende Fragen keine Antworten finden. Die Arbeit muss fortgesetzt werden. Es braucht einen neuen Untersuchungsausschuss, um zu klären, weshalb die Rechtsterroristen des NSU am 25. Februar 2004 nach Rostock kamen, um Mehmet Turgut zu erschießen.“ [3]

Es gibt zahlreiche offenen Fragen und Ungereimtheiten rund um das Treiben des NSU und sein Netzwerk, doch auch der Prozess schaffte kaum Aufklärung. Diese Mord- und Raubserie hätte das Trio ohne ein großes Unterstützernetzwerk nicht so lange im Untergrund weiterführen können. Dieses wird auf 100 bis 200 Personen geschätzt, Funktionäre rechtsextremer Parteien und V-Personen. Nach der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011, vernichteten einige Beamt:innen des Verfassungsschutzes relevante Akten. Nach Bekanntwerden mehrerer Strafanzeigen der Nebenkläger:innen wegen Strafvereitelung und Urkundenunterdrückung traten die Chefs des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Landesbehörden Thüringens, Sachsens und Berlins zurück. Während des Prozesses hat die Nebenanklage herausgestellt, dass um die 40 V-Personen im Umfeld des NSU zu finden waren. Dennoch konnte das Trio ab 1998 ungestört im Untergrund leben. [4]

Rechtsextremismus ist aktuell die größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland, sagen inzwischen auch Innenminister und Geheimdienstchefs. In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland mehrere rechtsextreme Anschläge, bei denen insgesamt mehr Menschen ermordet wurden, als durch den NSU: die Anschläge in Hanau und in Halle, der Mord am Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke oder auch der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in München. [5]


Fußnoten:
[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-trio-war-das-nicht
[2] https://www.jungewelt.de/artikel/413817.militante-rechte-verpasste-chance.html
[3] https://www.linksfraktionmv.de/politik/aktuelles/detail/news/die-betroffenen-rechten-terrors-und-ihre-beduerfnisse-endlich-ernst-nehmen/
[4] https://www.belltower.news/10-jahre-nsu-selbstenttarnung-gehoert-der-luebcke-mord-zum-nsu-komplex-123549/
[5] https://www.br.de/nachrichten/bayern/zehn-jahre-nach-ende-des-nsu-terrors-immer-noch-offene-fragen,SndCG3X