CDU, FDP und SPD wählen NPD-Kader einstimmig in den Ortsbeirat Wetteraukreis

Die Abgrenzung zum rechtsextremen Rand bröckelt weiter. Im hessischen Wetteraukreis haben Vertreter*innen von CDU, FDP und SPD einen bekannten NPD-Kader zum Ortsbeirat gewählt. Die Bundespolitik reagiert entsetzt – und weitestgehend hilflos.

Von Janin Krude und Marko Neumann

Der Ortsbeirat der beschaulichen Waldsiedlung im hessischen Wetteraukreis beschäftigt sich normalerweise mit Müllsammelaktionen, alkoholisierten Jugendlichen auf Kinderspielplätzen, Hundetoiletten oder nächtlicher Ruhestörung. Das direkt gewählte Gremium des 2.500 Einwohner*innen zählenden Ortsteils der Gemeinde Altenstadt soll Interessen von Bürger*innen sammeln und an höhere Verwaltungsebenen weitergeben. All dies erreicht selten überregionale Aufmerksamkeit. [1]

Das hat sich nun geändert: Am 5. September wurde der Neonazi Stefan Jagsch zum Ortsvorsteher gewählt, was bundesweit Empörung auslöste. Denn nicht nur ist Jagsch Mitglied der NPD – mehr noch, ermöglicht wurde seine Wahl durch die Stimmen der Vertreter*innen von CDU, SPD und FDP. [2]

Alle sieben anwesenden Vertreter des Ortsbeirats von Altenstadt-Waldsiedlung, darunter Vertreter von CDU, SPD und FDP, wählten am Donnerstagabend den stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Stefan Jagsch zum Vorsteher, wie die regionalen Verbände von CDU und SPD am Samstag bestätigten. Zwei Abgeordnete von SPD und CDU waren bei der Abstimmung nicht anwesend. [3]

Man habe die Wahl nicht so ernst genommen, außerdem sei der Posten bereits seit rund zehn Wochen vakant gewesen, rechtfertigte der CDU-Vertreter Norbert Szielasko die Personalentscheidung gegenüber dem HR. „Wir hatten keinen anderen – vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computer auskennt, der Mails verschicken kann.“ [4]

Dass Jagschs Name mehrfach in den vergangenen Jahren im hessischen Verfassungsschutzbericht auftauchte, interessiert den 71-Jährigen nicht. „Er arbeitet gut mit bei uns im Ortsbeirat.“ [5]

Der 33 Jahre alte Jagsch ist Vize-Landesvorsitzender und Landesschatzmeister der NPD. In der 12.000-Einwohner-Gemeinde Altenstadt ist er Vorsitzender der vierköpfigen NPD-Fraktion und vierter Stellvertreter des Vorsitzenden der Gemeindevertretung. Die NPD hatte bei den Kommunalwahlen 2016 in Altenstadt 10,0 Prozent der Stimmen geholt – mehr als die FDP (7,0 Prozent). [6]

SPD und CDU forderten, die Entscheidung rückgängig zu machen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nannte am Sonntag im „ARD-Sommerinterview“ das Entsetzen und die Empörung vollkommen gerechtfertigt. „Ziel ist es, so schnell wie möglich eine Abwahl des jetzt Gewählten zu beantragen, durchzuführen.“ [7]

Die Kreisvorsitzende der CDU Wetterau, Lucia Puttrich, und der Vorsitzende der CDU Altenstadt, Sven Müller-Winter, reagierten in einer gemeinsamen Erklärung „mit Entsetzen und absolutem Unverständnis“ auf die Wahl des NPD-Funktionärs. „Zur einstimmigen Wahl haben leider auch zwei Ortsbeiratsmitglieder beigetragen, die bei der letzten Kommunalwahl über die CDU-Liste als Mitglied und als Nicht-Mitglied in den Ortsbeirat gewählt wurden.“ [8]

SPD-Vize Ralf Stegner, der sich um den Vorsitz seiner Partei bewirbt, schrieb auf Twitter: „Man weiß gar nicht, ob einen die Dummheit oder die Dreistigkeit dieses Vorgangs mehr erschüttern soll.“ [9]

Der Vorsitzende der Wetterauer FDP, Jens Jacobi, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir sind unfassbar entsetzt über diese Wahl. „Bei den an der Wahl beteiligten FDP-Vertretern handle es sich nicht um Mitglieder, sondern um Bürger, die als Parteilose auf die FDP-Liste aufgenommen worden seien.“ Umso mehr empfinden wir dies jetzt als herbe Enttäuschung.“

[10]

Gabi Faulhaber, Fraktionsvorsitzende der Linken/Piraten im Wetterauer Kreistag, ist entsetzt: „Nur weil von den anderen Parteivertretern keiner den Job machen wollte, wählen sie einstimmig (!) einen Nazi?“ Sie sieht mit diesem Wahlverhalten das Verständnis darüber gefährdet, was demokratische Politik ausmacht. [11]

Die NPD ist die älteste aktive rechtsextreme Partei. Zwei Anläufe für ein Verbot waren gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht stellte in einem Urteil im Januar 2017 aber für die NPD eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ fest, sie sei verfassungsfeindlich. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat wollen die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließen. [12]

Fußnoten:

[1] https://taz.de/NPD-Mann-wird-Ortsvorsteher/!5620996/

[2] https://taz.de/NPD-Mann-wird-Ortsvorsteher/!5620996/

[3] https://www.dw.com/de/wahl-von-npd-mann-an-gemeinde-spitze-l%C3%B6st-entsetzen-aus/a-50341044

[4] https://osthessen-news.de/n11625396/weil-er-e-mails-schreiben-kann-npd-politiker-zum-ortsvorsteher-gewahlt.html

[5] https://www.sueddeutsche.de/politik/hessen-altenstadt-waldsiedlung-npd-1.4591757

[6] https://www.hessenschau.de/politik/npd-politiker-von-cdu-spd-und-fdp-zum-ortsvorsteher-gewaehlt,npd-ortsvorsteher-jagsch-102.html

[7] https://www.tag24.de/nachrichten/altenstadt-kaum-zu-glauben-nazi-zum-ortsvorsteher-gewaehlt-weil-kein-anderer-e-mails-verschicken-kann-1207545

[8] https://www.nordbayern.de/politik/aufruhr-in-hessen-npd-vertreter-zum-ortsvorsteher-gewahlt-1.9300220

[9] https://www.tagesschau.de/inland/npd-ortsvorsteher-101.html

[10] https://de.euronews.com/2019/09/07/aufschrei-und-entsetzen-npd-politiker-zum-ortsvorsteher-gewahlt

[11] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1125523.altenstadt-waldsiedlung-wahl-von-npd-ortsvorsteher-schlaegt-hohe-wellen.html

[12] https://www.tagesschau.de/inland/npd-ortsvorsteher-101.html